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Blog: Dokumentationszentrum Couragierte Recherchen und Reportagen

Realistisch, nicht befriedigend!

Debatten zur Energiewirtschaft

von Marc Alexander Holtz & Tim Kinkel

Nach Angaben der Deutschen Bundesregierung ist „der weltweite Energieverbrauch (…) gegenwärtig fast doppelt so hoch wie zu Beginn der 70er Jahre. Die wichtigsten Energieträger sind: Öl (34 Prozent), Kohle (24 Prozent) und Gas (21 Prozent). Erneuerbare Energieträger decken 14 Prozent, die Kernenergie 7 Prozent des globalen Energieverbrauchs“ (DIE BUNDESREGIERUNG 2007).

Die mit den vorhandenen Technologien erschließbaren Ölvorkommen gelten als rar und die Verknappung der Ressource steigert den Preis des wertvollen Rohstoffs. Der schrittweise Ausstieg aus der Kernenergie ist an und für sich beschlossen. Stein- und Braunkohle sind als Klimakiller gebrandmarkt.

Mit 300 Mio. Tonnen jährlichem CO2-Ausstoß durch die Nutzung fossiler Brennstoffe zur Energiegewinnung führt Deutschland die Rangliste der Kohlendioxid-Emittenten in Europa an. Politisch hat man Konzepte entwickelt, um sich längerfristig diesem Problem zu entledigen. Doch stoßen die politischen Interessen auf die der Energiewirtschaft. Die EU will den Anteil regenerativer Energien bis 2020 auf 20% anheben, die Bundesregierung hat diese Vorgabe um weitere 7% erhöht. Um dieses Ziel zu erreichen, wird ab 2008 die Vergabe von Emissionszertifikaten reduziert und damit die Energiegewinnung durch Kohle und Gas verteuert. Durch diese Maßnahme sollen Produzenten regenerativer Energien im Wettbewerb auf dem Strommarkt Vorteile entstehen. Gleichzeitig ergibt sich daraus der politische Appell an E.on & Co., künftig vermehrt in Technologien zur umweltfreundlichen Energiegewinnung zu investieren.

Vattenfall Europe setzt weiter auf Braunkohle: im Oktober 2007 kündigt die Konzernzentrale an, in der Lausitz drei neue Braunkohlegebiete zu erschließen. Dafür sollen fünf Dörfer der Kohle weichen und ca. 900 Menschen umgesiedelt werden. Politische Überzeugungsarbeit zur Erschließung der fossilen Gewinnquellen leistet Vattenfall mit der geplanten Investition in neue Verstromungstechnik, die bei gleich bleibender Stromproduktion deutlich weniger Kohlendioxid freisetzen soll. E.on und RWE haben ähnliche Vorhaben angekündigt, um vorhandene Energiequellen nicht aufzugeben und dennoch der politischen Forderung nachzukommen.

Diese Argumentationslinie, die politischen Klimaschutzziele erfüllen zu wollen und gleichzeitig den steigenden Energiebedarf zu decken, verfolgen die Stromriesen auch, wenn sie vor Gericht ziehen, um dort die Verlängerung der Laufzeiten ihrer Atomkraftwerke einzuklagen. Von der zusätzlichen Endlagerung radioaktiven Abfalls abgesehen, gelten nach der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) Kernkraftwerke als besonders emissionsarme Quellen der Stromerzeugung, so lange nicht ausreichend andere Energiequellen ohne Treibhausgasemissionen zur Verfügung stehen.

Nun sind die großen Stromproduzenten in Deutschland im Bereich der regenerativen Energien nicht untätig. RWE wie E.on beziehen einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer selbst produzierten Energie aus Wind- und Wasserkraft sowie aus Biogas und Biomasse. Der Düsseldorfer Stromanbieter E.on ist nach Angaben der Wochenzeitung Die ZEIT sogar größter Ökostrom-Produzent Deutschlands, europaweit strebt der Konzern eine führende Rolle an. Beim RWE-Konzern entspricht die aus regenerativen Energiequellen gewonnene Leistung inzwischen der von zwei Atomkraftwerken. E.on reagiert auf den zunehmenden politischen und gesellschaftlichen Druck sowie das zunehmende Umsatzpotential im Bereich der Ökostromgewinnung mit der Ankündigung einer Investition von 3 Mrd. Euro bis zum Jahr 2010 in den Ausbau „grüner“ Energieerzeugungsanlagen. Da es sich bei E.on & Co. um auf Effizienz und Gewinn ausgerichtete Konzerne handelt, werden die Investitionen vorwiegend dort getätigt, wo die Aktionäre diese Kriterien erfüllt sehen. Spanien, Frankreich und die britische Küste scheinen derzeit rentablere Standorte zu sein als das Heimatland selbst. Das Engagement bezüglich des deutschen Offshore-Pilotprojekts „Alpha Ventus“ in der Nordsee hält sich auf Grund der enormen Kosten für Windräder und das noch fehlende Transportnetz in Grenzen.

Nichtsdestotrotz kann die deutsche Branche der Erneuerbaren Energien eine imposante Entwicklung vorweisen. Im Jahr 2006 hat dieser Wirtschaftszweig 214.000 Menschen beschäftigt und einen Gesamtumsatz in zweistelliger Milliardenhöhe erwirtschaftet.

Um den Wettbewerb weiterhin anzutreiben, fordern Politiker europaweit eine Öffnung der Stromnetze. Nach der EU Kommission sollen die Netze unabhängigen Betreibern zugänglich gemacht oder vollständig ausgegliedert werden. Der Erfolg dieser Unternehmung setzt eine Zusammenarbeit auf internationaler Ebene voraus, wobei ein politischer Konsens der beteiligten Staaten in Bezug auf ihre Energiepolitik gefunden werden muss. Durch die Erweiterung des Wettbewerbs mit Hilfe von Deregulierungsmaßnahmen erhofft man sich eine sozialverträglichere Preispolitik von Seiten der Stromerzeuger. Sprich: niedrigere Strompreise für den Endverbraucher. Der Gefahr, dass die aktuellen Oligopolstrukturen des Energiemarktes den Stromerzeugern eine willkürliche Preisbildung erlauben, will man mit dieser Forderung entgegenwirken.

Durch die gegenwärtige Debatte um die Sicherung der Energieversorgung und die Höhe der Strompreise gerät der Aspekt des sparsamen Umgangs mit Energie auf Seiten der Nutzer immer weiter in den Hintergrund, „weil es einfacher ist, Politik für ein paar Energieanbieter zu machen als für Millionen Energiekonsumenten“ (DIE ZEIT, 13/2006 – Claude Mandil, Chef der internationalen Energieagentur). Solange die Verschwendung von Energie in den Millionen Haushalten Deutschlands, die bei Effizienzstudien des Statistischen Bundesamts deutlich wird, anhält, ist die vorrangige Diskussion um das Erschließen neuer Energiequellen, ob regenerative oder konventionelle, fraglich. Statt ausschließlich in neue Techniken zur Reduktion von CO2-Ausstoß bei der Kohlegewinnung, in Gerichtsverfahren zur Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken oder in Anlagen erneuerbarer Energien zu investieren, wären Teile der horrenden Ausgaben u. U. besser in Aufklärungskampagnen für sparsameren Stromverbrauch angelegt. Nach Angaben des Leiters der Politikabteilung der deutschen Umwelthilfe, Gerd Rosenkranz, bedeute Energieeffizienz, dass im Falle erfolgreicher Aufklärungsarbeit, ein ausgemustertes Kraftwerk einfach nur nicht ersetzt wird. Das klingt realistisch. Gegenüber den in Superlativen formulierten Versprechen der Energiewirtschaft und Politiker jedoch wenig befriedigend.

Dossier ENERGIE

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Erklärung der Bundesregierung

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(Anhang)

Erklärung der Bundesregierung

ANTWORT DER BUNDESREGIERUNG AUF DIE KLEINE ANFRAGE DER ABGEORDNETEN RAINER BRÜDERLE, ERNST BURGBACHER, HELGA DAUB, WEITERER ABGEORDNETER UND DER FRAKTION DER FDP: TEXT DER BUNDESTAGS-DRUCKSACHE 15/1193 VOM 24. JUNI 2003:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung grundsätzlich den Wechsel des ehemaligen Kabinettsmitgliedes Dr. Werner Müller auf den Vorstandsposten eines Unternehmens, für das der damalige Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Dr. Werner Müller, ressortverantwortlich zuständig war?

Die Bundesregierung hat keine Bedenken gegen den Wechsel des ehemaligen Kabinettsmitgliedes Dr. Werner Müller auf den Vorstandsposten der RAG Aktiengesellschaft. Weder das Grundgesetz noch das Bundesministergesetz stehen dem entgegen. Das Grundgesetz verbietet in Artikel 66 eine anderweitige Berufstätigkeit für „im Amt befindliche“ Bundesminister. Eine vergleichbare Regelung für ehemalige Bundesminister existiert nicht. Das Bundesministergesetz beinhaltet unter anderem Vorschriften über die Rechte und Pflichten ehemaliger Bundesminister, kennt jedoch keinerlei Berufsverbot für frühere Bundesminister.

2. Wie beurteilt die Bundesregierung den Wechsel des damaligen Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, Dr. Werner Müller, zu einem Unternehmen, das am meisten von der vom Bundesminister höchstpersönlich ausgehandelten Verlängerung des Beihilferahmens für die Steinkohle in Brüssel profitiert?

Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen.

3. Wie beurteilt die Bundesregierung vor diesem Hintergrund, dass die Ruhrkohle AG mit der Degussa ein gesundes Unternehmen im Zuge der in der Amtszeit von Dr. Werner Müller erteilten Ministererlaubnis für die Fusion E.on-Ruhrgas übernehmen durfte?

Die Bundesregierung sieht keinen Zusammenhang zwischen der Wahl des ehemaligen Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, Dr. Werner Müller, zum Vorstandsvorsitzenden der RAG AG und der Ministererlaubnis für die Fusion E.on-Ruhrgas.

4. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung der Tatsache bei, dass der aktuelle Aufsichtsratsvorsitzende der Ruhrkohle AG gleichzeitig Vorstandsvorsitzender der E.on AG zu dem Zeitpunkt war, als E.on die oben genannte Ministererlaubnis beantragt hat?

Die Bundesregierung misst dieser Tatsache keine Bedeutung zu.

5. Was hält die Bundesregierung vom Verhaltenskodex für EU-Kommissare, nach dem sich Mitglieder der EU-Kommission mindestens zwei Jahre nach Ausscheiden aus dem Amt beruflich nicht mit Dingen beschäftigen dürfen, die mit ihrem Aufgabenbereich als EUKommissar zu tun haben?

Steht die beabsichtigte Tätigkeit in Zusammenhang mit dem Ressort, das das Kommissionsmitglied während seiner gesamten Amtszeit geleitet hat, holt die Kommission die Stellungnahme einer hierzu eingesetzten Ethikkommission ein. Entsprechend den Ergebnissen der Ethikkommission entscheidet die Kommission, ob die geplante Tätigkeit mit Artikel 213 letzter Absatz EGV vereinbar ist.

6. Warum gibt es einen vergleichbaren Kodex nicht für Mitglieder der Bundesregierung?

Weder das Grundgesetz noch das Bundesministergesetz verlangen die Einführung eines solchen Kodex. Die Verhaltensmaximen ergeben sich auch für Mitglieder der Bundesregierung aus den normierten Rechten und Pflichten.

7. Sieht die Bundesregierung vor dem Hintergrund des Wechsels des ehemaligen Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, Dr. Werner Müller, eine Notwendigkeit, die Einführung eines solchen Verhaltenskodex zu überprüfen?

Nein.

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INHALTSVERZEICHNIS ENERGIE

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Macht und Energiekonzerne

von Philipp Fahr

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Bezüglich der Energiekonzerne ist deren de facto Monopolstellung ein weiteres Problem: Einer wirkliche Liberalisierung und Öffnung des deutschen Energiemarktes ist man keinen entscheidenden Schritt vorangekommen, so daß sogar die EU-Wettbewerbskommissarin, Neelie Kroes, einschreiten mußte. Sie ordnete im Juni 2006 Durchsuchungen bei deutschen Energiekonzernen an und hoffte bei diesen Razzien Beweise zu finden, die den Verdacht auf regionale Gebietsabsprachen erhärten, wie z.B. bei E.ON und RWE vermutet. Die Energiemärkte sind von einem speziellen Selbstverständnis großer Konzerne geprägt, die es als Ex-Monopolisten für eine Zumutung halten, dem Wettbewerb ausgesetzt zu sein. Sie argumentieren gar damit, daß die notwendige Versorgungssicherheit Wettbewerb schlicht ausschließe [11, 4]. Vor allem profitieren die Konzerne aber davon, daß Netz und Versorgung in der Regel nicht getrennt sind und sie deshalb von potentiellen neuen Anbietern überhöhte Durchleitungsentgelte verlangen können [10]. Die Durchleitungsschwierigkeiten neuer Anbieter verschaffen Konzernen wie E.ON ohne Absprachen schon Gebietsschutz, denn vier
Stromanbieter verfügen über das gesamte deutsche Stromnetz [10].

Zeitlich parallel zur Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes schluckten insbesondere E.ON und RWE viele Stadtwerke. Dies geschah teilweise auch durch zwischengeschaltete Konzerntöchter wie der E.ON-Tochter Thüga. Von den etwa 900 Stadtwerken in Deutschland haben bisher rund 200 den beiden großen Verbundunternehmen E.ON und RWE eine Minderheitsbeteiligung von mehr als zehn Prozent eingeräumt. Diese Beteiligungen sichern den Stromabsatz der beiden Giganten ab: Die Stadtwerke beziehen den Strom vom jeweiligen Energiekonzern, statt selbst Kraftwerke zu bauen.

E.ON erzeugt ca. 30% ihrer Stromerzeugung mit Hilfe von Kernkraftwerken. Das entspricht dem bundesweiten Durchschnitt von ungefähr 30% Kernkraft, 60% fossile Energieträger und derzeit etwas über 10% erneuerbare Energien.

Der Präsident des Deutschen Atomforums seit April 2004, Walter Hohlenfelder, im Hauptberuf seit Juli 2000 und bis vor kurzem Vorstandsmitglied der E.ON Energie AG. Er wies öffentlich den CDU-Vorschlag zurück, Zusatzgewinne aus längeren Laufzeiten für Kernkraftwerke zum Teil in niedrigere Strompreise zu verwandeln. „Der Preis bilde sich am Markt und so solle es auch bleiben.“ [5]

RAG-Chef Werner Müller, der einst als Wirtschaftsminister in der Regierung Gerhard Schröder den Atomkonsens mit aushandelte, hält sogar neue Meiler für nötig. Zitat: „Wir werden um den 10 Neubau von Kernkraftwerken nicht herumkommen.“ [16].

Philipp Fahr, 28, Doktorand, Fakultät für Mathematik, Universität Bielefeld

weiterlesen: Energiepreise

weiterlesen: Eliterekrutierung in Deutschland

weiterlesen: Hartmanns Ergebnisse

weiterlesen: Hauptrekrutierungskriterium: Der Habitus

Anhang: Erklärung der Bundesregierung

weiterlesen: Vorschläge zur Strukturveränderung der Macht

Dossier ENERGIE

Literatur:

[4] Gammelin, Cerstin & Hamann, Götz: Die Strippenzieher, Manager, Menister, Medien –
wie Deutschland regiert wird. Econ-Verlag, Dezember 2006.

[5] Gammelin, Cerstin: Gut vernetzt, Artikel erschienen in DIE ZEIT Nr. 34, 18.8.2005.

[10] Liedtke, Rüdiger: Das Energie-Kartell. Das lukrative Geschäft mit Strom, Gas und
Wasser, Eichborn; April 2006.

[11] Niggeschmidt, Martin: Die Lamstedt-Connection, message, S.66-71, Ausgabe 3/2004.

[16] DIE ZEIT Nr. 15, S.24, 4. April 2007.

[19] Günter Karweina: Der Stromstaat, Bertelsmann Verlag, 1989 & Der Megawatt Clan.
Geschäfte mit der Energie von morgen, Goldmann Wilhelm GmbH, 1985.

 

 

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