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Eine Frage der Einheit

Nichtraucherschutz und Tabakindustrie

von Marc Alexander Holtz & Tim Kinkel

Am 29. Juni 2007 gibt der Verband der Cigarettenindustrie (VdC) seine Auflösung bekannt, nachdem das finanzstärkste Mitglied Philip Morris (PM) im Mai seinen Austritt zum Jahresende ankündigt. Damit verschwindet eine der einflussreichsten Interessenvertretungen Deutschlands von der politischen Bühne. Ohne die Mitgliedsbeiträge des hiesigen Tabakkonzerns, die ca. ein Viertel der Gesamtbeiträge des Verbands ausgemacht haben, droht dem VdC die Insolvenz.

Die offiziellen Gründe für den Ausstieg von PM scheinen fragwürdig und stoßen auf scharfe Kritik bei den verbleibenden Verbandsmitgliedern. Jacek Olczak, Deutschland-Chef von Philip Morris, skizziert kurz nach der Austrittserklärung Interessenskonflikte zwischen den Mitgliedern und wirft dem VdC vor, nicht genug gegen das gesundheitsschädliche Konsumieren von Zigaretten unternommen zu haben. Für die Zukunft plant der Konzern deshalb eine enge Zusammenarbeit mit dem Gesetzgeber, um gemeinsam einen strengen Regulierungskatalog auszuarbeiten.

Die Aussagen durch Presseorgane von Phillip Morris, sich gesundheitspolitisch stärker einzusetzen und das Werbeverbot für Zigaretten vorantreiben zu wollen, klingen bizarr, insbesondere unter dem Aspekt, dass PM als einer der größten amerikanischen Fabrikanten von Tabakprodukten gilt. Der Vorsitzende der deutschen Reemtsma-Vertretung sieht hinter der Argumentationslinie von Phillip Morris eine ökonomische Strategie. Die in diesem Zusammenhang ebenfalls geäußerte Forderung nach einer erhöhten Feinschnitt-Steuer sei für PM ohne wirtschaftliches Risiko, da der Konzern in diesem Segment nur mit geringen Marktanteilen vertreten ist. Und auch die Ausweitung des Werbeverbots für Zigaretten scheint für Philip Morris nicht weiter von Nachteil, da dadurch die momentane Marktsituation, die PM mit knapp 37 Prozent Marktanteil beherrscht, eingefroren wird und andere Anbieter von Filterzigaretten dem Konzern diese Spitzenposition ohne Werbekampagnen kaum streitig machen können.

Fakt ist, dass neben der Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH die British American Tobacco Plc, die Gallaher Deutschland GmbH, JT International Germany GmbH, Tabak- und Cigarettenfabrik Heitz van Landewyck GmbH sowie die Joh. Wilh. von Eicken GmbH zunächst ohne politische Interessenvertretung dastehen. Deshalb wollen sie gemeinsam versuchen bis zum Jahr 2008 eine neue Gesellschaftsform und damit eine Nachfolgeorganisation des VdCs zu gründen.

Der VdC ist aufgrund seiner zahlreichen Beziehungen zu den für ihn bedeutsamen Ministerien und Bundesbehörden zu einem in der politischen Einflussnahme gewichtigen Verband herangewachsen. Diese Einflussnahme hat ausgereicht, um beispielsweise der Bundesregierung vorformulierte Gesetzesänderungen zu präsentieren. Im Oktober 2006 ist bekannt geworden, dass die Haltung der deutschen Regierung bezüglich des Passivrauchens in den Arbeitsräumen des VdCs ausgearbeitet und von den Bundesbehörden schlicht übernommen worden ist.

Die bundesweite Debatte über Präventionsmaßnahmen zum Nichtraucherschutz hat mit dem zum 1. September 2007 in Kraft getretenen „Gesetz zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens“ seinen vorläufigen Abschluss gefunden. Der Erlass gewährt den Teilnehmern am öffentlichen Personenverkehr und den Angestellten in behördlichen Einrichtungen gesetzlichen Anspruch auf den Schutz vor dem ungewollten Inhalieren des Tabakrauchs. Des Weiteren ist die Altersgrenze für die Abgabe von Tabakprodukten an Jugendlichen von 16 auf 18 Jahre erhöht worden. Zu der Heraufsetzung des Abgabealters konstatiert Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt: „Wer in jungen Jahren nicht mit dem Rauchen beginnt, bleibt auch später mit großer Wahrscheinlichkeit Nichtraucher. Deshalb ist es so wichtig, dass Kinder und Jugendliche von der Zigarette fern gehalten werden. Tabakwaren dürfen jetzt nicht mehr an Minderjährige verkauft werden. Ich freue mich, dass zunehmend mehr Jugendliche erkannt haben, dass Nichtrauchen die richtige Entscheidung ist. Die Raucherquote bei den 12- bis 17-Jährigen ist von 28 Prozent im Jahr 2001 auf 18 Prozent im Jahr 2007 zurückgegangen.“

Mit diesem Vorstoß in der Gesundheitspolitik sind die Kompetenzen des Bundes bezüglich des Nichtraucherschutzes ausgeschöpft. Die Entscheidung für ein etwaiges Rauchverbot in Diskotheken, Kultureinrichtungen oder auch Gaststätten fällt in den Zuständigkeitsbereich der Bundesländer. Diese haben jeweils spezifische Regelungen vorgesehen, die eine einheitliche Linie bisher kaum erkennen lassen.

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