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Erinnerung an Anna POLITKOVSKAJA

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Wächterpreis der Tagespresse 2010

Die Jury der in Bad Vilbel ansässigen Stiftung „Freiheit der Presse“ hat am 25. März über die Vergabe des bekannten und begehrten Journalistenpreises entschieden:

Der erste Preis (12.000 Euro) geht an ein Redaktionsteam des Bonner „General-Anzeiger“ für eine Serie über eklatante Missstände bei dem 200 Millionen-Projekt der Stadt Bonn „World Conference Center Bonn“ (WCCB). Über Monate hinweg haben sechs Journalisten – Lisa Inhoffen, Rita Klein, Bettina Köhl, Bernd Leyendecker, Florian Ludwig und Wolfgang Wiedlich – den Bau verfolgt und eine Fülle von Fehlentwicklungen, Leichtfertigkeiten und Verschwendungen transparent gemacht. Die Probleme eines Großprojekts unter kommunaler Regie werden an diesem Fall drastisch deutlich.

Den zweiten Preis (8.000 Euro) erhält Christine Kröger, Redakteurin beim „Weser-Kurier“, Bremen, wurde von der Jury für ihre hartnäckigen Recherchen im Rockermilieu ausgezeichnet. Dabei stieß sie bei der Begleitung eines Strafverfahrens um Mitglieder der „Hells Angels“ und „Banditos“ auf Verbindungen zur organisierten Kriminalität und zugleich auf Verharmlosungen dieses Phänomens durch die zuständigen Behörden.

Der dritte Preis (6.000 Euro) geht an den Redakteur Roland Kirbach – DIE ZEIT. Er lieferte eine auszeichnungswürdige Analyse von Finanztransaktionen deutscher Gebietskörperschaften und dokumentiert dabei in verständlicher Weise die Praxis des „Cross-Border-Leasing“, mit der viele Kommunen ihre Finanzen und damit ihre Steuer- und Abgabenzahler erheblich belastet haben.

Der Wächterpreis für Volontäre (4.000 Euro) geht an Steven  Hanke, Volontär bei der „Märkische Allgemeine“ (MAZ) in Potsdam. Er untersuchte die Praxis der Verteilung von Bußgeldeinnahmen durch Richter und Staatsanwälte. Anhand der Empfängerlisten wirft er in seinem Artikel „Die Spendierroben“ die Frage nach den Kriterien für die Auswahl der Empfängerorganisationen auf.

Die Preise werden am Mittwoch, den 5. Mai 2010, im Rahmen einer Feierstunde im Frankfurter Römer übergeben. Zu diesem Zeitpunkt wird dann auch die ausführliche Dokumentation über alle 4 Geschichten online gehen:
–    wie die Affären und Skandale entstanden sind
–    wie die Medien davon erfahren und wie sie recherchiert haben
–    wer alles die Akteure und Beteiligten sind
–    wie die Geschichten weitergehen und was sich danach verändert (oder auch nicht).

Nachzulesen unter
www.waechterpreis.de/aktuell oder
www.ansTageslicht.de/waechterpreis

Für Rückfragen zu den Preisen: Gebhard Ohnesorge, Geschf. Vorstand Stiftung „Freiheit der Presse“, Telefon 06101 – 988 90, 06161 – 582023 oder 0171 6202288, waechterpreis@vhzv.de

für alle anderen Rückfragen:

1) Prof. Dr. Johannes Ludwig, mail@johannesludwig.de, 0176 – 52 00 69 15
2) Ingo Eggert, redaktion@ansTageslicht.de, 0174 – 291 76 01

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Anna POLITKOVSKAJA 2000: Die Obrigkeit ist so zynisch wie ein Tyrann

Sieben Opfer des Militärterrors wurden um die Todesbescheinigungen ihrer Angehörigen beraubt

Die Obrigkeit überschwemmt das Land mit ihrem kalten und bis zur Abscheu berechnenden Zynismus. All das, was, um die so genannte Novye-Aldy-Tragödie passiert, ist eine der schrecklichsten Seiten des zweiten Tschetschenienkrieges – hier der Beweis:

Wir erinnern: Am 5. Februar 2000 war der Tag der „Befreiung“ von Soldaten in der Siedlung Novye Aldy im Industriebezirk von Grozny. Am Morgen fing dort eine „Passkontrolle“ an, durch Kräfte des Innenministeriums und des Verteidigungsministeriums. Es war der Anfang eines Massakers an der Zivilbevölkerung („Novaja Gaseta“ hat darüber bereits in der Ausgabe Nr. 12 berichtet). Das Ergebnis: in der Siedlung wurden fast hundert Menschen auf brutalste Art und Weise zu Tode gequält. Einige von ihnen sind bis heute nicht identifiziert. Grund dafür sind die ihnen zugeführten Verletzungen.
Wie hat die Obrigkeit darauf reagiert? Extrem träge!

Sie wollten natürlich das alle Schweigen. Die Informationen erreichten jedoch die Presse und so wurde dann doch ein Strafverfahren eingeleitet. Erstmal passierte aber nichts. Erst einige Zeit später wurde das Verfahren wieder aufgenommen. Unser Korrespondent, der über das Massaker berichtet hatte, wurde erst im Juli (!) zur Vernehmung der Geschehnisse eingeladen. Der Untersuchungsbeamte war jedoch in völliger Unkenntnis über die zu untersuchende Frage. Es war nur eine reine Formalität unseren Korrespondenten vorzuladen. Niemand wollte klare Antworten auf die Fragen: wer und wie viele?

Der Hohn erreichte seinen Höhepunkt, als den Hinterbliebenen der Opfer von NA, die Sterbeurkunden verweigert wurden. Sie taten so, als hätten diese Menschen – die brutal zu Tode gequälten, die lebendig Verbrannten, die mit abgeschnittenen Köpfen und Ohren – nie existiert. Die Empörung der Bevölkerung war groß. Der Ermittlungsbeamte der Nordkaukasischen Generalstaatsanwaltschaft T. MURDALOV wollte die Situation mildern, indem er einigen besonders wichtigen Fällen Zertifikate mit folgendem Inhalt erstellte:

„Am 5. Februar 2000 wurde in der ersten Tageshälfte, in der Siedlung Novye Aldy des Industrie-Bezirks der Stadt Grozny, Tschetschenische Republik, durch Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums und des Ministeriums für Innere Angelegenheiten der Russischen Föderation, während der Passkontrolle-Maßnahmen, ein Massenmord an der friedlichen Bevölkerung der oben genannten Siedlung begangen, dabei wurde … (dann folgte der Name des verstorbenen) ermordet. In Zusammenhang mit diesen Fakten ermittelt die Hauptverwaltung der Generalstaatsanwaltschaft am Nordkaukasus.“

Der Ermittlungsbeamte MURDALOV hatte es geschafft 33 solcher Zertifikate auszustellen und dementsprechend die Erinnerung an die 33 Opfer wieder herzustellen. Das 34-te Dokument kam jedoch nicht mehr ans Tageslicht. Der Ermittlungsbeamte wurde von seinem Posten entlassen und degradiert. Er wurde sogar aus Grozny ausgewiesen. Damit blieb ihm die Möglichkeit verwährt sich mit den Angehörigen vor Ort, in seinem Büro, zu treffen. Aber nicht nur der Ermittler wurde fortgeschafft, auch der Fall selbst. Sie übergaben ihn dem Ermittlungsbeamten N. HAZIKOV in Essentuki. Dieser Ort ist von NA genauso weit entfernt wie Moskau.

Gehen die Angehörigen, der Opfer von NA, jetzt in die Staatsanwaltschaft von Grozny, sagt man ihnen: „Fahren Sie nach Essentuki. Klären Sie alles dort!“ Das ist in etwas so, als würde man einem armen Moskauer sagen: „Fahr nach Argentinien!“ Denn er Abstand von NA bis Essentuki ist wesentlich größer als von Essentuki bis NA.

„Wenn HAZIKOV wenigstens eine Dienstreise nach Grozny machen könnte (was er nicht macht). Wir sind dagegen nicht im Stande einfach so nach Essentuki zu fahren“ – sagt Tabarik ARSAMURZAEVA. „Man lässt uns nicht weiter als bis zu dem letzten tschetschenischen Kontrollposten. Außerdem haben wir kein Geld für den Zug. Wir denken, dass sie es extra gemacht haben, um unsere Tragödie zu beerdigen.“

Wir stehen am Eingang der Staatsanwaltschaft in Grozny. Aufgrund der Schreie versammelter Novoaldyner, kommt endlich der Assistent des Staatsanwaltes, Aleksander LEBEDEV, raus und verweigert den Familienangehörigen der Verstorbenen jegliche Hilfe. Die Angehörigen bitten darum mit dem Ermittlungsbeamten HAZIKOV per Telefon verbunden zu werden. Sie flehen um eine erneute Aufnahme von Zeugenaussagen, die Exhumierungen der Leichnahme und darum das Problem mit den Todesbescheinigungen zu lösen.

„Unsere Kinder werden nicht als Waisen anerkannt. Verstehen Sie uns“ – sagt Malika LABAZANOVA. „Wir können nicht beweisen, dass diese Manschen, unsere Schwestern, Brüder und Männer waren. Das sie überhaupt gelebt haben …“. LEBEDEV bleibt jedoch unnachgiebig.
Die Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft, die verlangt haben anonym zu bleiben, erklärten später, dass es einen Befehl aus Moskau gab indem es hieß die Untersuchung der NA-Tragödie auszubremsen. Jegliche Ausstellung von Unterlagen, die das Massaker untermauern konnten, war untersagt worden. Keiner der Angehörigen sollte die Möglichkeit haben sich an eine internationale Organisation zu wenden um dort zu beweisen, dass am 5. Februar 2000 der Massenmord tatsächlich stattgefunden hat.

Die Armee stellt die Arme der Obrigkeit dar. Eine Obrigkeit geprägt durch staatlichen Zynismus, in einer Epoche der schnellen Entfaltung. Daher wird alles was sie macht, von den Menschen als Materialisierung ihrer Gedanken verstanden. Auch von den Menschen, die sie selbst geschaffen hat.

Anna POLITKOWSKAJA in der Novaja Gaseta am 11.09.2000

Den Originalartikel finden Sie dort unter ВЛАСТЬ ЦИНИЧНА, КАК НАСИЛЬНИК

Übersetzung: Andreas ENGELHARDT

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Wächterpreis der Tagespresse

Der Wächterpreis der Tagespresse zeichnet couragierte Reporter aus, die in Wahrnehmung von staatsbürgerlichen Rechten, den Kampf um eine saubere Verwaltung aufnehmen, Übergriffe der Bürokratie oder anderer Machtgruppen recherchieren und darüber berichten und dabei ohne Rücksicht auf Namen und bestehende Verhältnisse Missstände schonungslos aufdecken.

Dies ist das Ziel des Wächterpreis der Tagespresse. So hat es die Stiftung, die die Preise vergibt, formuliert.

Missstände und Probleme gibt es überall. Oft weiten sie sich zu Affären und handfesten Skandalen aus. Und manchmal werden Lehren daraus gezogen, Missstände abgestellt, Gesetze verändert oder sonstige Konsequenzen gezogen.

Die Medien haben – neben ihrem Job der Nachrichtenvermittlung – auch die Aufgabe, den Finger in solche Wunden zu legen. Man nennt dies öffentliche Aufgabe der Medien. Oder auch Watch-Dog (Wachhund)-Funktion.

Die Website will diese für eine funktionierende Demokratie wichtige Aufgabenteilung bekannter und transparenter machen. Sie richtet sich an alle, die Zeitungen und Zeitschriften lesen oder das Zeitgeschehen im Fernsehen verfolgen. Sie ist aber auch für die Medien selbst gedacht sowie für die Forschung und die Wissenschaft, die untersuchen, wie die Medien und die öffentliche Kommunikation funktionieren.

Deshalb werden ab 2004 die mit dem Wächterpreis ausgezeichneten Geschichten und Berichte vollständig dokumentiert und mit weiteren Informationen präsentiert.

Sie können daher auf der Website des DokZentrum anstageslicht.de erfahren, wie die durch den Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichneten Geschichten letztlich weitergehen, welche Reaktionen sie auslösen und wie sie entstanden sind.

Der „Watch-Dog“ – Preis wird nur für Berichte vergeben, die in Tageszeitungen zu lesen waren bzw. von Tageszeitungsjournalisten aufgedeckt wurden. Viele solcher Themen sind aber oftmals Ergebnis unterschiedlicher Kooperationen oder Arbeitsteilungen auch im Bereich der Medien selbst, beispielsweise wenn eine Zeitung und das Fernsehen mehr oder weniger gleichzeitig eine Geschichte enthüllen. In solchen Fällen wird auch dies dokumentiert, wie solche „Geschichten“ zum öffentlichen „Thema“ werden.

Marc Alexander Holtz

Redaktion DokZentrum

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