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Blog: Dokumentationszentrum Couragierte Recherchen und Reportagen

ansTageslicht.de: Wächterpreis der Tagespresse 2011

Die Jury der Stiftung „Freiheit der Presse“ hat die „Wächterpreise der Tagespresse“ für dieses Jahr vergeben. Das DokZentrum ansTageslicht.de wird bis zur Preisverleihung am 18. Mai diese ‚ausgezeichneten‘ Geschichten dokumentieren: a) Die Berichte, b) wie sie entstanden sind und c) wie die Recherchen liefen. Folgenden Themen wurden die renommierten Preise zuerkannt:

Der erste Preis (12.000 Euro) geht an ein Redaktionsteam der Berliner Morgenpost. Die Journalisten hatten am 28. Januar 2010 als erste und auch am ausführlichsten über die Missbrauchsfälle am bekannten Canisius-Kolleg in Berlin berichtet. Das Team, bestehend aus Jens Anker, Michael Behrendt, Joachim Fahrun, Uta Kehseling, Anne Klesse, und Daniel Müller, recherchierte das Thema in umfassender Weise und löste damit eine Welle weiterer Enthüllungen über vergleichbare Fälle in kirchlichen und außerkirchlichen Einrichtungen (z.B. Odenwald-Schule in Hessen) aus. Die Journalisten schärften damit das gesellschaftliche Bewusstsein dafür, solche Vorgänge unter keinen Umständen hinzunehmen.

Den zweiten Preis (8.000 Euro) erhalten Andreas Damm und Detlef Schmalenberg vom Kölner Stadt-Anzeiger für ihre umfangreiche Aufarbeitung des Einsturzes des Kölner Stadtarchivs beim U-Bahn-Bau. Sie legten eine Fülle von bis dahin unbekannten Einzelheiten dar, aus denen sich gravierende Fehlleistungen der Verantwortlichen, zum Teil mit kriminellem Einschlag, ergaben.

Der dritte Preis (6.000 Euro) geht an den Redakteur der Frankfurter Rundschau, Matthias Thieme. Er recherchierte und veröffentlichte in einer nachhaltigen Serie von Artikeln die Reglementierung vier hessischer Steuerfahnder, die – teilweise zwangspsychatrisiert – aus dem Amt verdrängt wurden. Die Zeitung legte dabei Verflechtungen und seltsame Abhängigkeiten innerhalb der Hessischen Finanzverwaltung offen. Die Berichterstattung löste eine öffentliche Debatte aus und einen (zweiten) parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der bis heute nicht wirklich arbeiten kann – er wird mittels der politischen Mehrheitsverhältnisse in Hessen blockiert.
Diese Geschichte, die im Jahr 1996 mit einer Großrazzia bei der Commerzbank in Frankburt/Main begann, ist im DokZentrum ansTageslicht.de bereits seit 2009 ausführlich dokumentiert unter www.ansTageslicht.de/Steuerfahnder.

Mit dem Wächterpreis für Volontäre (4.000 Euro) wurde Christina Hucklenbroich, Frankfurter Allgemeine Zeitung, ausgezeichnet. Sie berichtete anschaulich über die schwierige berufliche Situation junger Tierärzte und ermöglichte damit weitgehend unbekannte Einblicke in einen Beruf, der sich dramatisch gewandelt hat.

Die 60 Einsendungen (Bewerbungen) belegen erneut, dass Recherche und nachhaltige Berichterstattung auch in deutschen Tageszeitungen nach wie vor zum gängigen Repertoire journalistischer Berichterstattung gehören. Dies lässt sich auch aus den früheren preisgekrönten Themen entnehmen. Die letzten 25 Geschichten sind vollständig und mit Hintergrundinformationen zur ihrer Entstehung dokumentiert unter www.ansTageslicht.de/Waechterpreisarchiv bzw. unter www.waechterpreis.de.

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Affäre »Altaigate«

Medien und Menschen verändern die Welt – so lautet das Motto des »DokZentrums ansTageslicht.de«. Dies bestätigt auch eine Rekonstruktion aller Ereignisse, die 5 Moskauer Journalismusstudenten von der Lomonov-Universität (Fakultät für Journalismus) im Rahmen einer einwöchigen Projektwoche beim DokZentrum in Hamburg zusammengestellt haben:

»Altaigate« – eine Affäre, deren Name sich an den bekannten Watergate-Skandal 1972 in den USA anlehnt, die sich aber 2009 in Russland abspielt. Ausgangspunkt: ein Hubschrauberabsturz mit 7 Toten, darunter der Vertreter des russischen Präsidenten bei der Staatsduma (Parlament) Alexander Kosopkin – das Ende einer illegalen Jagdparty. Die Folgen: Proteste und Gegenwehr der Zivilgesellschaft. Aus dem offiziell als „Unfall“ gemeldeten Vorgang wurde schnell ein Skandal, weil Bürger und Medien hartnäckig blieben. Das (vorläufige) Ende im Juli 2010: Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen in Moskau gegen den vorübergehend untergetauchten ehemaligen Vize-Gouverneur der Region Altai …

Im Detail nachzulesen unter www.ansTageslicht.de/Altaigate

Die Projektwoche in Hamburg ist Bestandteil der zu Jahresbeginn gestarteten Kooperation zwischen dem DokZentrum ansTageslicht.de und dem Freien Russisch-Deutschen Institut für Publizistik (FRDIP) an der Moskauer Fakultät für Journalismus. Finanziert wurde sie vom FRDIP, den russischen Studierenden und den studentischen Gastgebern in Hamburg.

In Kürze wird alles auch auf russisch nachzulesen sein.

Das DokZentrum ansTageslicht.de ist ein Kooperationsprojekt zwischen Wissenschaft und Praxis, derzeit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg angesiedelt:

www.ansTageslicht.de

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Die WÄCHTERPREISE der Tagespresse 2010

Für die feierliche Übergabe des Wächterpreises der Tagespresse am 5. Mai um 17 Uhr im Frankfurter Römer an die vier Preisträger sind die vom DokZentrum ansTageslicht.de rekonstruierten Geschichten hinter den Geschichten rechtzeitig online gegangen: www.ansTageslicht.de/Waechterpreis.

Das was das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL in seinem April-Heft Nr. 15 unter dem Titel „Der Märchenmann“ ausführlich über das 200 Millionen-Pleiteobjekt „World Congress Center Bonn“ (WCCB) berichtet hat, war bereits seit August letzten Jahres im Bonner GENERAL-Anzeiger zu lesen: in einer bis heute 34-teiligen Fortsetzungsserie „Die Millionenfalle“. Dass der 1. Wächterpreis an das 6-köpfige Redaktionsteam ging, zeigt, dass Recherchejournalismus auch in Tageszeitungen möglich ist und vieles auch bewegen kann (www.ansTageslicht.de/Millionenfalle).

Nachhaltige Recherchen im Rockermilieu von Christine KRÖGER brachten unbekannte Informationen über Rockerkriminalität und Kungeleien mit den etablierten Eliten zutage. Die Journalistin ist bei ihrer Arbeit auch persönlich ein hohes Risiko eingegangen – so musste sie z.B. mehrmals umziehen. Die zweite Preisträgerin beschreibt in 9 Abschnitten ausführlich, wie sie bei ihrer Arbeit vorgegangen ist (www.ansTageslicht.de/Rocker) – ebenfalls ein Lehrstück für Recherchejournalismus.

Cross Border Leasing (CBL) ist ein wenig bekannter Fachbegriff aus der Finanzierungswelt, der allerdings in rund 150 deutschen Städten und Gemeinden für selbstverschuldete Finanzkrisen sorgt: Politiker hatten kurzsichtig auf anfängliche Geldvorteile gesetzt, als sie kommunales Eigentum wie Hallenbäder, Strassen- oder U-Bahnen, Klärwerke oder das Trinkwassernetz an steuersparende US- Trusts verkauften, um sie dann wieder zurückzuleasen. Roland KIRBACH von der ZEIT, dritter Preisträger, hat in 2 ZEIT-Dossiers eine ausführliche Bestandsanalyse in Reportagenform gemacht. Das DokZentrum dokumentiert aber auch einen Warner, der seit Ende der 90er Jahre auf die schleichende Enteignung städtischen Gemeineigentums aufmerksam gemacht hatte: den Kölner Publizisten Werner RÜGEMER (www.ansTageslicht.de/CBL).

Der „Volontärspreis“ ging an den damaligen Volontär Steven HANKE von der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ), Potsdam: Wie Richter eigenmächtig über die Verteilung der Bußgelder entscheiden können. Zum Zeitpunkt der Juryentscheidung im März war der Preisträger allerdings nicht mehr bei der MAZ – sie hatte keine Stelle für den ‚ausgezeichneten’ Journalisten (www.ansTageslicht.de/Bussgelder).

Das DokZentrum ansTageslicht.de ist ein Kooperationsprojekt zwischen Wissenschaft und Praxis, derzeit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg angesiedelt: www.ansTageslicht.de

Rückfragen:

1) Prof. Dr. Johannes Ludwig, mail@johannesludwig.de, 0176 – 52 00 69 15
2) Ingo Eggert, redaktion@ansTageslicht.de, 0174 – 291 76 01

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ansTageslicht.de wohlbehalten zurück aus Moskau:

Was als Experiment angedacht war, ein Dokumentationszentrum für couragierte Recherchen und Reportagen auch für Russland aufzubauen, scheint zu gelingen: das DokZentrum ansTageslicht.de hat eine erste Projektwoche an der Fakultät für Journalismus der Lomonosov-Universität in Moskau absolviert und zwar im Freien Russisch-Deutschen Institut für Publizistik (www.frdip.ru).

Nach einer ersten Arbeitswoche mit deutschsprechenden Studierenden der Fakultät, Arbeitstreffen mit Journalisten (Moritz Gathmann – www.moritzgathmann.de; Gisbert Mrozek von www.aktuell.ru) sowie dem Chefredakteur der Novaya Gazeta, Dimitri Muratov, und ersten Vernetzungen vor Ort ist auch das erste journalistische Projekt in Arbeit: die detaillierte Rekonstruktion von „Altaigate“, einem Vorgang aus dem Jahre 2009, in dem sich die Zivilgesellschaft gegen die „Macht“ zur Wehr setzt:

Ein Hubschrauberabsturz im Altai-Gebirge mit tödlichem Ausgang für mehrere VIP’s, darunter einem Vertreter des russischen Präsidenten in der Duma, sowie dem Gouverneur der Region, entpuppt sich als mehr als nur ein technischer Unfall: illegale Wilderei. Die Folgen: ein zurückgetretener Vize-Gourverneur, ein aufgelöstes Tierschutzkommittee, ein abgelöster Staatsanwalt. „Altaigate“ soll die erste Geschichte werden, die unter ansTageslicht.de in deutscher Sprache und in russisch auf dem dafür vorgesehenen Portal www.vsvet.org dokumentiert wird.

Zum Ende des Sommersemesters 2010 sollen die beteiligten Moskauer Studierenden nach Hamburg kommen: Fortsetzung des Projekts, Besuche bei einschlägigen Medienhäusern, Kontakte in die Medienwelt.

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Wächterpreis der Tagespresse 2010

Die Jury der in Bad Vilbel ansässigen Stiftung „Freiheit der Presse“ hat am 25. März über die Vergabe des bekannten und begehrten Journalistenpreises entschieden:

Der erste Preis (12.000 Euro) geht an ein Redaktionsteam des Bonner „General-Anzeiger“ für eine Serie über eklatante Missstände bei dem 200 Millionen-Projekt der Stadt Bonn „World Conference Center Bonn“ (WCCB). Über Monate hinweg haben sechs Journalisten – Lisa Inhoffen, Rita Klein, Bettina Köhl, Bernd Leyendecker, Florian Ludwig und Wolfgang Wiedlich – den Bau verfolgt und eine Fülle von Fehlentwicklungen, Leichtfertigkeiten und Verschwendungen transparent gemacht. Die Probleme eines Großprojekts unter kommunaler Regie werden an diesem Fall drastisch deutlich.

Den zweiten Preis (8.000 Euro) erhält Christine Kröger, Redakteurin beim „Weser-Kurier“, Bremen, wurde von der Jury für ihre hartnäckigen Recherchen im Rockermilieu ausgezeichnet. Dabei stieß sie bei der Begleitung eines Strafverfahrens um Mitglieder der „Hells Angels“ und „Banditos“ auf Verbindungen zur organisierten Kriminalität und zugleich auf Verharmlosungen dieses Phänomens durch die zuständigen Behörden.

Der dritte Preis (6.000 Euro) geht an den Redakteur Roland Kirbach – DIE ZEIT. Er lieferte eine auszeichnungswürdige Analyse von Finanztransaktionen deutscher Gebietskörperschaften und dokumentiert dabei in verständlicher Weise die Praxis des „Cross-Border-Leasing“, mit der viele Kommunen ihre Finanzen und damit ihre Steuer- und Abgabenzahler erheblich belastet haben.

Der Wächterpreis für Volontäre (4.000 Euro) geht an Steven  Hanke, Volontär bei der „Märkische Allgemeine“ (MAZ) in Potsdam. Er untersuchte die Praxis der Verteilung von Bußgeldeinnahmen durch Richter und Staatsanwälte. Anhand der Empfängerlisten wirft er in seinem Artikel „Die Spendierroben“ die Frage nach den Kriterien für die Auswahl der Empfängerorganisationen auf.

Die Preise werden am Mittwoch, den 5. Mai 2010, im Rahmen einer Feierstunde im Frankfurter Römer übergeben. Zu diesem Zeitpunkt wird dann auch die ausführliche Dokumentation über alle 4 Geschichten online gehen:
–    wie die Affären und Skandale entstanden sind
–    wie die Medien davon erfahren und wie sie recherchiert haben
–    wer alles die Akteure und Beteiligten sind
–    wie die Geschichten weitergehen und was sich danach verändert (oder auch nicht).

Nachzulesen unter
www.waechterpreis.de/aktuell oder
www.ansTageslicht.de/waechterpreis

Für Rückfragen zu den Preisen: Gebhard Ohnesorge, Geschf. Vorstand Stiftung „Freiheit der Presse“, Telefon 06101 – 988 90, 06161 – 582023 oder 0171 6202288, waechterpreis@vhzv.de

für alle anderen Rückfragen:

1) Prof. Dr. Johannes Ludwig, mail@johannesludwig.de, 0176 – 52 00 69 15
2) Ingo Eggert, redaktion@ansTageslicht.de, 0174 – 291 76 01

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Interviews zu Recherchen in Tschetschenien

Am 7. Oktober 2006 wurde die russische Journalistin Anna Politkowskaja in Ihrer Wohnung in Moskau ermordet. Zuletzt arbeitete sie an einem Bericht für die Zeitung Nowaja Gazeta über die unmenschlichen Folterverbrechen innerhalb Tschetscheniens.

Politkowskaja schrieb, wie sie selbst es nannte, gegen das Einlullen der Gesellschaft. Ihre recherchen setzten dort an, wo Ermittlungen wider jeder Vernunft eingestellt wurden.

Auch Tomas Avenarius (Süddeutsche Zeitung) und Florian Hassel (Frankfurter Rundschau) berichteten aus den Kriegsgebieten Tschetscheniens. Die Sicherheitsmechanismen und das brutale Vorgehen der Regierung Kadyrows gegen recherchierende Journalisten haben sich bis heute weiter verschärft. Nur wenige Informationen erreichen uns noch.

Für Ihre Courage sowie ihre Arbeiten und auch das aufgenommene Wagnis erhielten beide Autoren im Jahre 2003 den Wächterpreis der Tagespresse. Im DokZentrum für couragierte Reportagen finden Interessenten neben den Interviews zur riskanten Mission der beiden Journalisten, ein ausführliches Portrait zu Anna Politkowskaja, eine Chronologie des Tschetschenienkonflikts, Berichte und eine Zustandsskizze zur Pressefreiheit in Russland. MEHR

(mah)

Dossier TSCHETSCHENIEN

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Journalisten, die im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Tschetschenien ermordet wurden:

Diese Aufstellung basiert auf einer Dokumentation von Oleg PANFILOV, Initiator des „Center of Journalism in Extreme Situations (CJES) in Moskau: www.cjes.ru/index-e.php. Die Dokumentation ist direkt erreichbar (in russischer Sprache) unter www.memorium.cjes.ru

1. Tschetschenienkrieg (1994-1996)

GUZUEV, Hussejn
gestorben am 26.11.1994
Rundfunk Staatskomitee der Tschetschenischen Republik, Vorsitzender

Getötet bei einem Feuergefecht während des Sturmangriffs auf Groznyj durch russische Truppen.

TSCHARIGOV, Gelani
gestorben am 14.12.1994
Fernsehen der Tshetschenischen Republik, Groznyj, Tschetschenien, Kameramann

Gestorben an Schwerverletzungen bei einem Luftangriff der russischen Luftarmee.

ELBAUM, Cynthia
Gestorben am 22.12.1994
Zeitschrift Time, USA, freie Journalistin

Ums Leben gekommen während der Luftbombardierung von Groznyj durch russische Truppen

AKHMADOV, Bilal
1972 – 31.12.1994
Fernsehen der Tschetschenischen Republik, Groznyj, Tschetschenien, Korrespondent

Ermordet in der Nähe vom Eisenbahn-Bahnhof Groznyjs.

ZHITARENKO, Vladimir
15.06.1942- 01.01.1995
Zeitung Krasnaja Zvezda (Rotes Stern), Moskau, Russland, Korrespondent

Ermordet in der Nähe von Groznyj. Es bestehen 3 Versionen des Mords. Die offizielle Version: Tod als Folge eines Beschusses mit Granatwerfern durch russische Landungstruppen. Eine zweite Version stammt vom Innenministerium der Russischen Föderation und besagt, dass ZHITARENKO von einem tschetschenischen Scharfschützen in den Kopf erschossen wurde. Die Version des Journalisten Oleg BLOZKIJ lautet, dass ZHITARENKO von russischen Wachsoldaten erschossen wurde, nachdem er keine zutreffende ‚Parole’ nennen konnte

NURIEV, Sultan
gestorben am 07.01.1995
Freier Journalist

Keine weiteren Angaben vorhanden

PIEST, Jochen
gestorben am 10.01.1995
Stern, Deutschland, Korrespondent

Jochen PIEST erlitt am 10. Januar 1995 an der Bahnstation Tscherwijlonnajn, 25 Kilometer von Grosny entfernt, drei tödliche Schussverletzungen. Ein tschetschenischer Partisan hatte den 30-jährigen Moskauer Stern-Korrespondenten von einer Lokomotive aus unter Feuer genommen. Der Reporter war auf dem Weg in den Kaukasus, um über den tschetschenischen Widerstand zu berichten

JANUS, Valentin Alexandrovich
26.09.1940-14.01.1995
GTRK Pskov – staatlicher Fernsehsender, Pskov, Russland, Kameramann

Es existieren zwei Versionen über den Tod. Nach mehreren Angaben war er zum fraglichen Zeitpunkt am Ort der Stationierung russischen Landungstruppen aus Pskov und wurde dabei erschossen. Nach einer anderen Version wurde JANUS beim Drehen in einem russischen Panzer getötet. Dabei entstand die letzte Videoaufnahme von ihm beim Sturm der russischen Landungstruppen auf die tschetschenische Präsidentenresidenz in Groznyj

SCHABALIN, Maxim
vermisst seit dem 27.02.1995
Nevskoe Vremja, St. Petersburg, Russland, Korrespondent

Zuletzt gesehen – zusammen mit seinem Kollegen Felix TITOV – in Nazran/Tschetschenien am 27. Februar 1995. Am 4. März sollte der Korrespondent wieder am Arbeitsplatz seiner Zeitung in St. Peterburg erscheinen. Beide hatten zusammen auch aus dem Kosovo und Nagornyi Karabach berichtet

TITOV, Felix
vermisst seit dem 27.02.1995
Nevskoe Vremja, St. Peterburg, Russland, Bildkorrespondent

Zuletzt gesehen in Nazran/Tschetschenien, zusamen mit seinem Kollegen Maxim SCHABALIN, am 27. Februar 1995. Am 4. März sollten die beiden Korrespondenten eigentlich wieder in der Zeitungsredaktion in St. Peterburg auftauchen. Beide hatten u.a. auch aus dem Kosovo und Nagornyi Karabach berichtet

Die St.Petersburger Zeitung Nevskoye Vremja, für die Maxim SCHABALIN und Felix TITOV gearbeitet haben, 2004 den Gerd-Bucerius-Förderpreis „Junge Presse Osteuropa“ zugesprochen bekommen.

ZEBIEV, Ruslan Ahmedovich
1972-31.03.1995
Fernsehsender Presidentskij Kanal (Präsidentenkanal), Groznyj, Tschetschenien, Korrespondent

Die Leiche wurde in einer Grube in der Nähe seines eigenen Hauses gefunden. Außer seiner Tätigkeit beim Presse-Dienst des tschetschenischen Präsidenten Dschohar DUDAEV, war er auch beim Radiosender Vostok (Osten) tätig.

SULEJMANOVA, Alkan
Gestorben am 06.05.1995
Zeitung Ichkeria, Groznyj, Tschetschenien, Korrespondentin

Umgekommen während der Bombardierung der Objekte (???was waren das für Objekte???) von tschetschenischen Kämpfern in den Umgebungen der Siedlung Schatoj (50 km südlich von Groznyj)

KERIMOV, Farhad Asker ogly
Nachrichtenagentur AP (USA), Kameramann des Teledienstes
11.12.1948-22.05.1995

Erschossen im Wald in der Nähe der Siedlungen Sajasan und Schuani, 44 km südlich von Groznyj. Die Leiche wurde von seinem Bruder nach einigen Tagen identifiziert. Nach Angaben der Zeitschrift Soldat Udachi, wurde Kerimov aufgrund seiner engen Zusammenarbeit mit den russischen Sicherheitsdiensten von tschetschenischen Kämpfern erschossen

ALJAKINA, Natalja
erschossen am 17.06.1995 http://www.aktuell.ru – Deutsch-russische Nachrichtenagentur, Deutschland, Korrespondentin, u.a. auch für Focus

Natalia und ihr deutscher Ehemann, der Journalist Gisbert MROZEK sowie der Fotokorrespondent Oleg NIKISCHIN waren an diesem Tag auf dem Weg nach Budjonovsk – sie wollten über die Geiselnahme tschetschenischer Rebellen in einem Krankenhaus berichten. An der Stadtgrenze wurde ihr Wagen für eine übliche Kontrolle der Papiere durch russische Soldaten des Innenministeriums angehalten, dann durchgewunken. Wenige Meter danach wurden sie von hinten durch ein Bordmaschinengewehr eines Panzers von der Kontrollstation aus beschossen – angeblich aus Versehen hätten sich zwei Schüsse gelöst, so die Version später vor einem Militärgericht. Gisbert MROZEK, der unversehrt blieb, zieht aus den widersprüchlichen Zeugenaussagen und dem offenkundigen Desinteresse des Militärstaatsanwalts den Schluss, dass absichtlich geschossen wurde, nicht um die drei Journalisten zu töten, aber einzuschüchtern.

IVANOV, Sergej
Vermisst seit dem 21.06.1995
Freier Fotojournalist, St. Peterburg, u.a. für die Zeitung Nevskoe Vremja

hatte an einer der Such-Expeditionen in Tschetscheniten nach zwei vermissten Korrespondenten (SCHABALIN und TITOV) der Zeitung Nevskoe Vremja teilgenommen. Um mehr herausfinden zu können, begab sich der Journalist selbstständig zu den südlichen Gebirgsgebieten Tschetscheniens. Am 21. Juni 1995 erhielt Georgij SCHABALIN, Vater von Maxim SCHABALIN, der ebenfalls zwecks Aufspüren seines Sohnes nach Tschetschenien gekommen war, eine Nachricht, dass IVANOV in 2-3 Tagen nach Atschhoj-Martan zurückkehren würde. Es war die letzte Nachricht über Sergej IVANOV. Bis heute weiß man nichts mehr über den Verbleib aller drei Medienleute

KAGIROV, Schamhan Abdurahmanovich
Gestorben am 12.12.1995
Rossijskaja Gazeta, Moskau, Russland, Korrespondent

KAGIROV und drei Miliz-Beamte waren auf dem Weg zu einem der Wahlbezirke (20 km von Groznyj), als der Wagen vermutlich von tschetschenischen Kämpfern beschossen wurde

IVLIEV, Alexej
MOLCHANOV, Evgenij
PLATONOV, Stanislav
ZALOEV, Batyr

Alle umgekommen am 24.12.1995
Fernsehsender NTV, Moskau, Russland

12 km hinter Groznyj kamen der Korrespondent Alexej IVLIEV, sein Kameramann Evgenij MOLCHANOV, der Tonmann Stanislav PLATONOV sowie ihr Fahrer Batyr ZALOEV bei einem Autounfall ums Leben. Sie waren auf dem Weg nach nach Nazran, um die aufgenommenen Materialien mit Hilfe einer dort vorhandenen Relaisverbindung nach Moskau zu kabeln

PIMENOV, Viktor
gestorben am 11.03.1996
Fernsehsender Vainah, Groznyj, Tschetschenien, Kameramann

Vermutlich Opfer von tschetschenischen Scharfschützen geworden

TSCHAJKOVA, Nadezhda
1963-30.03.1996
Obschaja Gazeta (Allgemeine Zeitung), Moskau, Russland, Korrespondentin

Nach der gerichtlichen medizinischen Expertise wurde TSCHAJKOVA mit einer „Makarow“ erschossen. Zuvor war sie schwer geschlagen worden und anschließend mit verbundenen Augen von hinten in den Kopf erschossen. Es wird vermutet, dass die Leiche erst nach der Tat an der Siedlung Gechi abgelegt wurde

JAGODIN, Anatolij Benediktovitsch
gestorben am 18.04.1996
Zeitschrift Na boevom postu, Zeitschrift des russischen Innenministeriums in Moskau, militärischer Status: Hauptleutnant, von Beruf Korrespondent

Vor dem Kosakendorf Assinovskaja gerieten die Panzer der Sofrinskaja Brigade der tschetschenischen Innentruppen (Miliz), wo sich auch Anatolij JAGODIN befand, an das Versteck (Hinterhalt) von tschetschenischen Separatisten. Die Aufgabe des Korrespondenten hätte in der Beschreibung der Rückkehr der russischen Armee bestanden

EFIMOVA, Nina
gestorben am 08.05.1996
Zeitung Vozrozhdenie (Wiedergeburt), Groznyj, Tschentschenien, Korrespondentin

Die Leiche der Korrespondentin wurde vor dem Gebäude des Öl-Technikums in Lenin Rajon (Bezirk) in Groznyj gefunden. Die Nachrichtenagentur ITAR-TASS und RIA-Novosti berichteten, die Journalistin und ihre Mutter seien in der Nacht vom 7. Mai entführt und mit dem Kopfschuss getötet worden. Als Hintergrund könnten letzte Publikationen der Journalistin über Kriminalität gewesen sein

HADZHIEV, Ramzan
14.11.1955-11.08.1996
ORT, Moskau, Russland, Korrespondent

Am 11. August erlitt der Korrespondent 2 tödliche Schussverletzungen am Block-Wachposten in der Nähe von Groznyj aus dem Maschinengewehr eines Panzers von Soldaten der russischen Föderaltruppen

GOGUN, Ivan
Gestorben am 20.08.1996
Zeitung Groznenskij Rabochij (Groznyjer Arbeiter), Groznyj, Korrespondent

Schwer verletzt in Groznyj, danach im Krankenhaus von Vladikavkaz zugestellt gestorben

2. Tschetschenienkrieg (1999-2001)

EPENDIEV, Supjan
gestorben am 29.10.1999
Zeitung Groznenskij Rabochij (Groznyjer Arbeiter), Groznyj, Tschetschenien, Korrespondent

Der Korrespondent wurde im Rahmen von Kampfhandlungen in Groznyj schwer verletzt und starb nach zwei Tagen

GIGAEV, Schamil
Gestorben am 29.10.1999
Fernsehen Nohtscho, Groznyj, Tschetschenien, Kameramann
Umgekommen während der Luftbombardierung durch die russische Armee, die tschetschenische Flüchtlinge auf dem Weg von Groznyj nach Nazran beschossen hatte

MEZHIDOV, Ramzan Hasanovich
gestorben am 29.10.1999
Fernsehsender TV Zentr, Moskau, Russland, Korrespondent

Stark verletzt während der Bombardierung einer Autokolonne, in der er saß, auf dem Wege nach Nazran durch die russische Luftarmee. Wegen des hohen Blutverlusts im Krankenhaus von Nazran verstorben

LOSKUTOV, Alexander Grigorjevich
6.09.1955- 17.12.1999
Zeitschrift Morskoj Sbornik Moskau, Russland, Korrepondent

Gestorben an schweren Verletzungen im Kopfbereich beim Zusammenstoß seines Autos mit einem Panzer

ARZHIEVA, Luiza
1974 – 22.03.2000
Zeitung Istina mira (Weltwahrheit), Moskau, Russland, Korrespondentin

Die Einzelheiten des Todes sind bis heute unbekannt. In der Sterbeurkunde, ausgestellt am 22.06.2000, wurden als Grund für den Tod „mehrere Splitterverletzungen im Brust- und Kopfbereich“ genannt

EFREMOV, Alexander
gestorben am 12.05.2000
Zeitung Nasche Vremja (Unsere Zeit), Tjumen, Bildkorrespondent

Der Wagen, im dem sich der Korrespondent zusammen mit zwei offiziellen Miliz-Offizieren befand, fuhr in Richtung Groznyj und wurde in der Nähe der Siedlung Kirov von tschetschenischen Kämpfern zur Explosion gebracht

TEPSURKAEV, Adam
Gestorben am 23.11.2000
Reuters Nachrichtenagentur, Kameramann

Erschossen in der Siedlung Ermolovka (süd-westlich von Groznyj) von unbekannten Tätern, die Tschetschenisch sprachen

POPKOV, Viktor
Gestorben am 02.06.2001
Novaja Gazeta, Moskau, Russland, Freier Journalist

Am 18. April 2001 wurde der Wagen von Viktor POPKOV in der Nähe der Siedlung Alhan-Kala von zwei unbekannten Tätern beschossen. Der Journalist erlitt mehrere schwere Verletzungen, zwei davon im Kopf. Er erlag diesen Verletzungen einige Wochen später im Krankenhaus von Krasnogorsk

BARANJUK, Juri Danilovich
Gestorben am 27.01.2002
Komsomolskaja Pravda (Komsomolwahrheit), Moskau, Russland, Korrespondent

Der Hubschrauber MI-8 mit dem Korrespondenten sowie 13 weiteren Personen an Bord explodierte aus unbekannten Gründen im Schelkovskij Kreis

SUHOMLIN, Vladimir Vladimirovich
1979-08.01.2003
Moskau, Russland, freier Internet-Journalist, Gründer der unabhängigen Websites http://www.chechnya.ru und http://www.serbia.ru

Die Leiche des Journalisten wurde am Stadtrand von Moskau gefunden. Vladimir wurde am 4. Januar von vorm Kinotheater in Leninskij Prospekt entführt. Die Täter hatten ihn mit Baseballschlägern zu Tode geschlagen. Später wurden Verdächtige festgenommen, die nach ihren Angaben für den Mord am Journalisten 1.200 US Dollar von ihrem Auftraggeber bekamen. Diese wurden bisher nicht ermittelt

HASANOV, Adlan
1970-09.05.2004
Reuters Nachrichtenagentur, Korrespondent

Kam während eines Terroraktes im Stadion „Dynamo“ in Groznyj um. Anlässlich des „Tages des Sieges“ befand sich der Journalist unter den Gästen des amtierenden Präsidenten Akhmad KADYROV: es gab ein Konzert. Dabei explodierte eine Bombe, deren Zündvorrichtung sich auf der zentralen Tribüne des Stadions befand. KADYROV und der Kommandant der Sondertruppen Valeri BARANOV sowie der Korrespondent starben. Insgesamt kamen dabei mehr als 14 Personen ums Leben, 63 Personen wurden schwer verletzt. Heute agiert KADYROV’s Sohn Ramsan KADYROV als Präsident – nicht gewählt, sondern eingesetzt von Wldamir PUTIN

POLITKOVSKAJA, Anna Stepanovna
30.08.1958-07.10.2006
Novaja Gazeta, Moskau, Russland, Korrespondentin

Erschossen an PUTIN’s Geburtstag am 7. Oktober 2006 im Hausaufzug ihrer Wohnung in Moskau. Siehe dazu Anna POLITKOVSKAJA

Redaktion DokZentrum

Dossier TSCHETSCHENIEN

Filed under: investigativer Journalismus, Journalismus, Krieg, Mord, Russland, Tschetschenien

Anna POLITKOVSKAJA

Eine couragierte Journalistin

von Marc Alexander Holtz & Tim Kinkel

Anna MASEPA wird am 30.08.1958 in New York geboren. Ihre Eltern sind ukrainische Diplomaten im Dienst der UdSSR bei den Vereinten Nationen. 48 Jahre später wird sie in Moskau durch fünf Schüsse einer Makarov-Pistole ermordet.

Die auf amerikanischem Boden geborene Anna verschlägt es nach Russland. Als 20jährige heiratet sie Alexander POLIT- KOVSKIJ, den sie kurz vor ihrem Studium der Journalistik an der Lomonossov-Universität in Moskau auf einer Party kennen lernt. Er ist 25. Sie bekommen zwei Kinder. Alexander arbeitet an seiner journalistischen Karriere, Anna übernimmt die Rolle der Hausfrau. Schnell ist sie unausgefüllt, wird eifersüchtig auf seine Arbeit. Sie will auch arbeiten, schreiben. Schreiben, worüber sie denkt. Keine Kompromisse. Nicht für Geld. Nicht für irgendwessens Interessen. 1980 schließt sie ihr Studium ab.

Zunächst arbeitet Anna für diverse russische Zeitungen und Zeitschriften wie z. B. dem Lufttransport oder der Iswestija. Ihr Eintritt in das Leben einer professionellen Journalistin gestaltet sich jedoch schwer. Die Arbeit wird ihren Ansprüchen nicht gerecht, ihre Aufgaben sind substanzlos. Bei der Iswestija verantwortet sie den Briefverkehr.

Ihre Ehe ist ein ewiges Auf und Ab. Alexander und Anna leben in bescheidenen Verhältnissen. Mit Pfandflaschen helfen sie sich die Zeit bis zur nächsten Vorschusszahlung zu überbrücken. Für Kultur reicht das Geld nicht aus, aber Verzicht üben die beiden keinen: Das Theater gegenüber der gemeinsamen Wohnung besucht das Paar regelmäßig. „Wir gingen nach dem ersten Akt, als wir ohne Mantel über die Straße gelaufen kamen, ins Theater hinein, als kämen wir vom Rauchen wieder. Dadurch kannten wir das gesamte Repertoire der Stücke, jeweils ab dem zweiten oder dritten Akt“ (Alexander POLITKOVSKIJ).

1994 dann Annas Wechsel zur Wochenzeitung Obschtschaja Gazeta. Damals eines der Vorzeigeblätter demokratischer Berichterstattung Russlands. Sie wird Kommentatorin, stellvertretende Chefredakteurin und besetzt die leitende Position der Abteilung „Außerordentliche Vorfälle“. Annas Vorliebe für Investigation und Reportage führt sie weiter zur oppositionellen Zeitung Novaja Gazeta. Sie recherchiert und berichtet über Themen, vor denen die Mehrzahl der Journalisten in Russland bis heute zurückschreckt. Fokus ihrer Berichterstattung sind Korruption, menschenunwürdige Politik, Gewaltherrschaft sowie Unterdrückung der Meinungsfreiheit. 1999 erhält sie von ihrem Chefredakteur Dmitri MURATOV das Angebot, den Job als Sonderkorrespondentin im zweiten Tschetschenienkrieg zu übernehmen. Sie nimmt an.

Anna POLITKOVSKAJAS besonderes Interesse gilt den militärischen Interventionen gegen die Zivilbevölkerung. Ihre Artikel und Reportagen stehen im Widerspruch zur Darstellung des Kremls, der den Krieg im Nord-Kaukasus offiziell bereits als beendet erklärt hat. Sie schreibt über Verbrechen der russischen Armee und der mit ihnen verbündeten paramilitärischen tschetschenischen Gruppen als auch über brutale Übergriffe tschetschenischer Rebellen auf russische Soldaten. Vor allem verweist sie auf die Willkür und den Sadismus innerhalb des Krieges, um auf die humanitäre Katastrophe im Krisengebiet aufmerksam zu machen.

„Ein Krieg lässt sich sehr leicht beginnen, unvergleichlich schwerer ist es, danach all der Ungeheuer Herr zu werden, die er hervorgebracht hat“ (A. P.).

Anna POLITKOVSKAJA bezieht ihre Kenntnisse stets aus erster Hand. Sie knüpft Kontakte zu tschetschenischen Untergrundkämpfern, Zivilisten, Flüchtlingen sowie zu russischen Soldaten. Folter, Mord, Vergewaltigung, Korruption, Diebstahl, Erpressung und Menschenhandel scheinen für alle Beteiligten in Tschetschenien zum grausamen Alltag in Tschetschenien zu gehören. Auf über 50 Reisen durch die Region spricht sie mit Opfern über ihre Schicksale, erforscht sie die Hintergründe von Entführungen und den so genannten „Säuberungsaktionen“, sieht sie verstümmelte Leichen – auch verstümmelte Lebende – und bringt diese Erfahrungen wieder mit nach Moskau, um sie über die Novaja Gazeta der Öffentlichkeit mitzuteilen. Dabei belässt sie es nicht nur bei der Berichterstattung, sondern setzt sich darüber hinaus auch aktiv in Gerichtsverfahren für die Familien sowohl der tschetschenischen Zivilbevölkerung wie auch der ermordeter russischer Soldaten ein.

Alexander POLITKOVSKIJ beginnt sich zu dieser Zeit für den Alkohol zu interessieren. Mit seiner Arbeit läuft es nicht mehr gut. Nach der Ermordung eines Journalistenkollegen erreicht er seinen psychischen Tiefpunkt. Die Beziehung zu Anna zerbricht nach 21 Jahren Ehe unter der Schwere seiner persönlichen Probleme.

Im Februar 2001 bekommt Anna POLITKOVSKAJA am eigenen Leib zu spüren, worüber die Menschen in Tschetschenien ihr so oft berichtet haben. Sie wird im tschetschenischen Vedeno von russischen Soldaten verhaftet und stundenlang verhört. Für drei Tage hält man sie in einem Bunker fest, droht ihr Vergewaltigung und die Misshandlung ihrer Kinder an, beschimpft sie und wirft ihr vor, zum Netzwerk des tschetschenischen Rebellenführers BASSAJEV zu gehören. BASSAJEV gilt als einer der brutalsten Protagonisten im Tschetschenien-Konflikt. Der Oberstleutnant lässt sie frei mit den Worten: ‚Wäre es nach mir gegangen, hätte ich dich erschossen’. Trotz dieser Erfahrung versucht sie stets Neutralität zwischen dem russischen Militär und den tschetschenischen Widerstandskämpfern zu gewahren, spart es aber nicht aus, die Täter beim Namen zu nennen. Insbesondere äußert sie Kritik an der von Moskau unterstützten Führung in Tschetschenien. Konkret am damaligen tschetschenischen Premier und heutigen Präsidenten Ramzan KADYROV, der ihrer Meinung nach das ganze Land terrorisiere. Dem russischen Präsidenten Vladimir PUTIN wirft sie in diesem Zusammenhang vor, jenes nicht nur zu dulden, sondern bewusst zu steuern. Nachdem PUTIN KADYROV seine eigene Mördermiliz, die so genannte „Kadyrovqi“, gewährt, verbietet der Chefredakteur der Novaja Gazeta Anna POLITKOVSKAJA weiterhin in die tschetschenische Hauptstadt Grosny zu fliegen.

„Wenn ich nicht mehr schreibe, haben meine Feinde ihr Ziel erreicht“ (A. P.).

Anna POLITKOVSKAJA weiß um die Gefahr. Dessen ungeachtet nimmt die Regierungs- kritikerin kein Blatt vor den Mund. Morddrohungen und Verhaftungen zum Trotz kritisiert sie PUTIN für seine rassistische Staatsführung, für die Kriege in Tschetschenien, für Folter und Drangsal in der russischen Armee und die konsequente Hetzjagd auf kremluntreue Journalisten. Ihrer Ansicht nach ist die „Wahrheit […] durch die Propaganda […] und durch eine um den Verstand gebrachte Medienlandschaft [ersetzt worden]. Das alles zu Gunsten einer Macht, die davon ausgeht, dass sie Russland sei und aus diesem Grund am besten wisse, was Russland brauche“ (Anna POLITKOVSKAJA). Ihre Kritik an der Kreml-Politik verschafft Anna POLITKOVSKAJA Feinde in hohen Regierungsämtern.

Insbesondere in Kreisen westlicher Menschenrechtsorganisationen wird ihr Name durch ihre Publikationen zum Tschtschenienkrieg ein Begriff. Anna POLITKOVSKAJAS lebensgefährliches Engagement und ihre persönliche Courage werden – als reiche der Mut nicht für mehr – mit diversen journalistischen Auszeichnungen versehen. Die daraus resultierende Popularität erscheint ihr fälschlicherweise als ein Schutzschild. Gleichwohl übt sie Kritik an der westlichen Welt. Sie wirft ihr vor, sich nicht für Russland und seine Menschen, sondern nur für das Gas und das Öl zu interessieren. Immer wieder beklagt sie Deutschlands enge Freundschaft zu PUTIN.

„Auf meiner Suche nach Unterstützung ziehen sie an meinen Augen vorüber, die Hauptstädte der Welt. Im Frühjahr war ich in Amsterdam, Paris, Genf, Manila, Bonn, Hamburg … Überall die Bitte, ‚eine Rede zu halten über die Situation in Tschetschenien‘ – und das Resultat gleich Null. Nur höflicher ‚westlicher‘ Beifall als Reaktion auf die Mahnung: ‚Vergessen Sie nicht, dass in Tschetschenien weiterhin jeden Tag Menschen umkommen. Auch heute’“ (A. P.).

Anna POLITKOVSKAJA verfolgt die „Mission“, die Wahrheit über die Verhältnisse in Tschetschenien und die Zustände in Russland ans Licht zu bringen. Ihr Pflichtbewusstsein für ihre Arbeit und die Annahme der Rolle als Stimme für die Menschen, die unter dem Krieg in Tschetschenien leiden, sind stärker als ihre Angst. „Sie ist ein sehr harter Mensch und genauso anspruchsvoll ist sie gegenüber ihrer Umwelt. Diese Härte fiel einem sehr schwer auszuhalten. Aber wir haben uns gegenseitig stets normal und mit Respekt behandelt“ (Alexander POLITKOVSKIJ). Ihr Arbeitspensum überbietet dass eines Top-Managers. Sie nimmt sich vor, was kaum zu schaffen ist.

„Ich bin überzeugt von dem, was ich tue. Damit bin ich im Einklang mit mir selbst“ (A. P.).

Ihre ursprünglichen Ambitionen, Souveränität und Kompromisslosigkeit, bewahrt sie sich. Ihr Prinzip: alles veröffentlichen, ohne die Folgen für sich zu bedenken. So verlässt sie beispielsweise Moskau 2001 als Reaktion auf Morddrohungen, nachdem sie einen Artikel veröffentlicht hat, in dem sie das russische Militär in Tschetschenien belastet. Die ihr angeblich sehr ähnlich sehende Nachbarin wird einen Tag nach ihrer Abreise ermordet aufgefunden. Anna POLIT- KOVSKAJA lebt für einige Monate in Wien, kehrt jedoch bald nach Moskau zurück.

2002 besetzen maskierte und bewaffnete Personen – den Medien zufolge tschetschenische Rebellen – das Dubrovka-Theater in Moskau und bringen knapp 800 Gäste in ihre Gewalt. Anna POLITKOVSKAJA bietet sich zur Vermittlung als Geisel an. Sie wird als Unterhändlerin für die Verhandlungen akzeptiert und versorgt die Festgehaltenen mit Wasser. Den Sturm der russischen Spezialeinheiten und damit den Tod von über 100 Menschen kann sie jedoch nicht verhindern. Unmittelbar danach äußert sie Kritik an der Vorgehensweise der Polizeieinheiten. Anna POLITKOVSKAJA recherchiert das Vorgehen der russischen Behörden während des Sturms auf das Theater auch dann noch, als viele die Hoffnung auf Klärung bereits aufgegeben haben.

2004 besetzen in Beslan maskierte und bewaffnete Personen – den Medien zufolge tschetschenische Rebellen – eine Schule. Bei der Befreiungsaktion durch russische Spezialeinheiten sterben einige Hundert Menschen, darunter viele Kinder. Kritische Journalisten vermuten hinter der Schulbesetzung eine geplante Aktion des russischen Geheimdienstes FSB – die Nachfolgeorganisation des KGB – zur Stabilisierung des Feindbildes „tschetschenische Terroristen“ und damit zur Rechtfertigung der Militäreinsätze im Nord-Kaukasus. Als auch Anna POLITKOVSKAJA sich nach Beslan aufmacht, wird ihr eine Tasse Tee auf dem Flug – sie nimmt in der Regel nur selbst mitgebrachte Nahrung zu sich – zur verhängnisvollen Ausnahme. Erstmalig wird Anna POLITKOVSKAJA Opfer eines Giftanschlags. Sie verliert das Bewusstsein und wird somit an der Einreise gehindert. Die Täter bleiben unbekannt.

Im Mai 2005 wird Anna POLITKOVSKAJAS parkendes Auto von unbekannten Männern demoliert. Im Oktober versuchen Unbekannte mit einem Mercedes Jeep ihren Wagen von der Straße abzudrängen. An diesem Tag fährt jedoch ihre Tochter das Fahrzeug. Es stellt sich quer, die Männer zerschlagen die Scheiben. Die Täter bleiben unbekannt.

Ein Jahr später, am 07. Oktober 2006, dem Geburtsdatum von Präsident PUTIN, wird Anna POLITKOVSKAJA im Aufzug ihres Wohnhauses mit vier Pistolenschüssen ermordet. Der fünfte, so genannte Kontrollschuss, wird gezielt auf den Kopf abgefeuert. Die Kamera am Haus filmt einen jungen Mann. Die Polizei nimmt die Fahndung auf. Gerüchten zufolge sind mehrere Personen an dem Mord beteiligt gewesen. Die Täter bleiben unbekannt.

Raubmord wird ausgeschlossen. Politischer Mord? Möglich. Der stellvertretende Moskauer Staatsanwalt Vjatschislav ROSSINSKI mutmaßt, dass Anna POLITKOVSKAJAS journalistisches Engagement ihr Leben verantworte. Auch für den Oppositionsabgeordneten Vladimir RYSCHKOV ist die Tat politisch motiviert. Nach Präsident PUTIN nimmt die Reputation Russlands deutlich mehr Schaden durch den Mord an der Journalistin als durch deren Artikel. Der vom Kreml ins Amt des tschetschenischen Präsidenten gehobene Ramzan KADYROV beschuldigt den milliardenschweren Unternehmer und PUTIN-Gegner Boris BERESOVSKI – der im Exil in Großbritannien lebt – für den Mord an Anna POLITKOVSKAJA verantwortlich zu sein. Für die Redaktion der Novaja Gazeta sind die Anschuldigungen unhaltbar und dienen ihrer Ansicht nach dazu, die Ermittlungen in eine falsche Richtung zu lenken. So leiten die Verantwortlichen der Zeitung eigene Ermittlungen ein und setzen ein Kopfgeld von 25 Millionen Rubel (740.000 Euro) für der Aufklärung dienliche Hinweise aus.

Der Großteil der russischen Bevölkerung steht dem Ereignis gelassen gegenüber. Der Fall beinhalte keinen Symbolcharakter und sei nur einer von vielen vergleichbaren in Russland, meldet eine Petersburger Senatorin. Die Aufmerksamkeit der westlichen Medien für den Tod Anna POLITKOVSKAJAS spiegelt darum nicht zwangsläufig die Resonanz auf den Mord in ihrer Heimat Russland wieder.

In der westlichen Welt eignet sich der Vorfall des Mordes an einer couragierten und für den Kreml unbequemen, sich für die Menschenrechte einsetzenden Reporterin als Symbol für einen Anschlag auf die Pressefreiheit und insbesondere den investigativen Journalismus. Auch wenn der Name Anna POLITKOVSKAJA in Folge von verschiedenen Ehrungen im Westen bekannter ist als der von vielen ihrer ermordeten (und noch aktiven) Mitstreiter im Kampf um Gerechtigkeit, verhilft erst der Mord an der Person POLITKOVSKAJA dieser zu Ehre und Ansehen auch innerhalb der Massenmedien. So schnell die mediale Popularität POLITKOVSKAJAS auftaucht, so schnell verschwindet sie wieder von der Agenda westlicher Medien.

(NKL, VIL, MAH, THK)

Dossier TSCHETSCHENIEN

Neuer Chefermittler im Mordfall Politkowskaja (SPIEGEL online, 04.09.07)

Festnahme im Mordfall Politkowskaja (SPIEGEL online, 15.9.07)

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Tschetschenien – der vergessene Krieg

Tschetschenien liegt weit weg – in Kilometern gerechnet und in Einheiten öffentlicher Wahrnehmung. Obwohl in einigen Zeitungen ab und an Meldungen aus dem fernen Land auftauchen.

Im April 2007 gab es wieder meldenswerte Neuigkeiten: Ramsan KADYROV (KADYROW), Amateurboxer und Anführer der so genannten Kadyrowzy, einer schwerbewaffneten privaten Söldnertruppe, und Sohn des 2004 bei einer Bombenexplosion umgekommenen Präsidenten von Tschetschenien Achmad KADYROV, wurde nun selbst Präsident – er war Wladimir PUTIN’s (einziger) Kandidat, und so war es dann auch gekommen. Bis dahin hatte er sich um den „Aufbau“ des Landes verdient gemacht und bekam von Russlands Präsident PUTIN den Orden „Held Russlands“ verliehen – eine hohe Auszeichnung.

KADYROV’s verdienstvoller Job: mit seinen Tausenden von Privatsöldnern Aufständische, d.h. „Terroristen“ zu eliminieren. Als Terrorist gilt, nachdem das Land wieder unter russischer Oberhoheit steht, sprich offiziell unwidersprochen Bestandteil der „Russischen Föderation“ ist, jeder, der ernsthaft von der Unabhängigkeit Tschetscheniens zu träumen wagt.

Offiziell gibt es in Tschetschenien nicht mehr Krieg – auch die beiden Tschetschenienkriege 1994-1995 und 1999-2000 sind offiziell immer für „beendet“ deklariert worden. Tatsächlich aber sind Übergriffe, Entführungen, Mord und Vergewaltigungen, Terror und Einschüchterungen an der Tagesordnung. Dies berichten immer wieder (sehr wenige) Informanten, Menschenrechtsorganisationen und andere parlamentarische Untersuchungskommissionen, sofern sie in das Land hineingelassen werden.

Medien, d.h. Pressevertreter dürfen und können nur mit offizieller Anmeldung und Genehmigung nach Tschetschenien. Alles wird überwacht und streng kontrolliert: der Flughafen, die wenigen Eisenbahnlinien, alle Strassen. Staatliche „Führer“ folgen Medien auf Schritt und Tritt – eine unabhängige Berichterstattung ist nicht möglich.

Trotzdem gibt es immer wieder Journalisten, die es im Dienste der Öffentlichkeit riskieren. Anna POLITKOVSKAJA war eine von ihnen – rund 50 heimliche Recherchereisen hatte sie unternommen und letztlich dafür mit ihrem Leben bezahlt.

Zwei Moskauer Korrespondenten aus Deutschland, Tomas AVENARIUS für die Süddeutsche Zeitung und Florian HASSEL für die Frankfurter Rundschau, hatten sich 2002 zusammengetan, obwohl sie eigentlich ‚Konkurrenten’ waren. Sie sind ebenfalls heimlich und unerkannt nach Tschetschenien gefahren, um von dort – wenigstens zwischendurch mal – authentisch darüber berichten zu können, was dort vor sich geht.

„Der Vergessene Krieg“ – so haben sie ihre Berichte beschrieben, die in Deutschland parallel in der Süddeutschen Zeitung (SZ) und der Frankfurter Rundschau (FR) zu lesen waren.

Da Tschetschenien auch in unserer Aufmerksamkeit oder Gedächtnis weit weg ist, haben wir – um die Zusammenhänge deutlich zu machen – 2 Chronologien über das Land zusammengestellt: einen kurzen Überblick, in dem nur die allerwichtigsten Informationen ganz knapp enthalten sind, und eine etwas längere Chronologie, die auch ein klein wenig historisch den Ablauf der Ereignisse erklären kann.

Derjenigen, der im Westen das größte Verdienst um Aufklärung gebührt, ist ein ausführliches Portrait gewidmet: Anna POLITKOVSKAJA.

Über die Zeitung, für die sie geschrieben hatte, die Novaja Gazeta in Moskau, wird es künftig Informationen beim Wächterpreis geben. Das kleine, aber unerschrockene Blatt, hat 2007 den Henri-Nannen-Preis für ihr Engagement in Sachen Pressefreiheit zugesprochen bekommen.

Über eine andere Zeitung aus Tschetschenien für Tschetschenien, die sich in den ganzen kriegerischen und politischen Wirren bis heute unabhängig erhalten konnte, werden wir zeitnah ebenso informieren. Die Zeitung publiziert auch in englischer Sprache: Tschetschenskoe bzw. Chechen Society.

Offiziell existieren in Russland demokratische Spielregeln und ebenso amtlich bestätigt herrscht dort Pressefreiheit. Wir stellen einige Informationen zusammen, die dieses Bild ein wenig trüben: Pressefreiheit in Russland.

Dazu gehört – leider – auch eine Liste all der Namen, die im Zusammenhang mit der Berichterstattung aus oder über Tschetschenien ums Leben gekommen sind: Getötete und ermordete Journalisten.

Redaktion Wächterpreis

Dossier TSCHETSCHENIEN 

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Die Ruhrgas-Affäre

Wer würde nicht gerne mal nach Norwegen fliegen, mit Begleitperson, und das, ohne etwas für die Reise zu bezahlen?

In diesen Genuss konnte man in der Vergangenheit leicht kommen, wenn man beispielsweise als Lokalpolitiker gleichzeitig in einem Aufsichtsrat der kommunalen Stadtwerke saß. Auch Gesellschafter und Prokuristen der Stadtwerke sowie Journalisten der Kommunen flogen gerne mal mit – zu dem einen oder anderen Ausflugsziel. Eingeladen wurden sie durch die Konzerne E.ON und die RWE-Tochter Thyssengas, die auf diese Weise eine besondere Art der „Klimapflege“ betrieben und mit noblen Reisen, Museumsbesuchen und exquisiten Essen ihre Abnehmer bei Laune hielten.

Die angebotenen Reiseziele konnten sich sehen lassen, es ging unter anderem nach Athen, Florenz, Paris, Barcelona, Moskau, Istanbul, St. Petersburg, Lissabon, ins näher gelegene Elsass oder zur Cezanne-Ausstellung nach Essen, um nur einige der Ausflugsziele zu nennen.

Erst ein Artikel im April 2005 von Ekkehard Rüger in der Westdeutschen Zeitung/ Redaktion Bergischer Volksbote und eine darauf folgende anonyme Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Köln brachte eine Lawine ins Rollen. Es ging um die Frage, ob das Vorteilsnahme, Bestechung oder gar Korruption sein könnte, wenn beispielsweise „Amtsträger“ im Zuge ihrer Amts- und Dienstgeschäfte sich von jenen einladen lassen, die geschäftlich über die Entscheidungsgewalt der Amtsträger gerne zum Zuge kommen würden – z.B. indem sie Strom oder Gas verkaufen.

Die Kosten der teilweise auch als „Informationsreisen“ deklarierten Fahrten beliefen sich auf bis zu 120.000 Euro und wurden von den Energielieferanten und teilweise von den Stadtwerken finanziert. In der Chronologie sind die in der Öffentlichkeit bekannt gewordenen Reisen gelistet. Auch das als kleine Antwort auf die Frage, weshalb die Energiepreise in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen sind. Warum 2 Bürgermeister(innen) nicht gefahren sind, lesen hier.

Die Zeitungsartikel, die alles ins Rollen gebracht haben, finden Sie unter Die Berichte. Wie der Redakteur Ekkehard Rüger auf diese Geschichte kam, hat er unter So begann die Geschichte beschrieben. Was Sie über Korruption wissen sollten (und bisher nie zu fragen wagten), steht unter Korruption – (kleine) Geschichte der Bestechung.

(tz)

INHALTSVERZEICHNIS ENERGIE

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