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Erfolgreiche Lobbyarbeit unter Rot-Grün

von Thomas Barth und Oliver Schwedes

zurück zum Start: Der Lockruf der Stifter

Zehn Jahre Lobbyarbeit zur Bildungsfinanzierung schlugen schließlich durch bis zur rot-grünen Bundesregierung. 2001 berief Bundesministerin Edelgard Bulmahn (SPD) eine Expertenkommission „Finanzierung Lebenslangen Lernens“ ein. Der Schlussbericht erschien 2004 und stellt nur einen weiteren, diesmal bundespolitischen Aufguss der Bertelsmann-inspirierten Kommissionsberichte dar. Damit hat sich letztlich auch dort ein von ökonomischer Rhetorik geprägter Bildungsdiskurs durchgesetzt, der einen weitreichenden, auf private Finanzierungsbeiträge abzielenden Umbau des Bildungssystems propagiert. Die Verschiebungen des bildungspolitischen Diskurses zu Gunsten betriebswirtschaftlicher Konzepte sind das Ergebnis zivilgesellschaftlicher Aktivitäten stiftungsförmiger Think-Tanks. Die Bertelsmann-Stiftung steigert ihre gesellschaftliche Definitionsmacht, indem sie andere Stiftungen als Sprachrohr für die eigenen programmatischen Ziele nutzt. Die einzelnen Bildungskommissionen transportieren identische Konzepte in unterschiedlichen Dialekten. So sprechen die Bertelsmann-Stiftung und das CHE in einem Jargon der Wirtschaftlichkeit von ökonomisch effizienter Bildung. Die Hans-Böckler-Stiftung propagiert in gewerkschaftlicher Rhetorik dieselben Konzepte als sozial gerecht. Schließlich preist die Heinrich-Böll-Stiftung ihrem grünen Publikum die Einführung privater Finanzierungskonzepte als nachhaltige Bildung an.

Bedenklicher wird die so ausgeübte Diskursmacht noch, wenn man sie im Kontext der gewaltigen Medienmacht des Bertelsmann-Konzerns sieht. Die Spezialisierung des Konzerns auf ursprünglich liberale, wissenschaftliche und kritische Printmedien führt zum Ausschluss von Bertelsmann-Kritikern aus dem Medien-Dispositiv. [18]

Mit der Kommerzialisierung des Bildungssystems vollzieht sich dessen Entdemokratisierung. Faktisch ist die Herstellung ökonomisch autonomer Bildungseinrichtungen, die über ihren Haushalt selbst bestimmen, mit der Reduzierung von Mitspracherechten der Mitarbeiter verbunden. Die Steuerung durch Globalhaushalte ermöglicht es Vorgesetzten, Sparmaßnahmen zu legitimieren und wirkt dabei als „Transmissionsriemen für die Verschärfung von Einkommensungleichheit“. [19] Die angebliche Bewältigung gesellschaftlichen Wandels und pluralisierter Lebensformen durch die vorgeschlagene Privatisierung ist wenig plausibel, da als dogmatische Basis immer wieder die leeren Staatskassen, mithin die Ideologie des Neoliberalismus nebst Senkung von Staats- und Lohnquote, herhalten muss. Alternativen werden ebenso verschwiegen wie evidente Schattenseiten: dass zwar die individuellen Handlungsspielräume wachsen, aber auch Vereinzelung und Entsolidarisierung, dass zwar zentralistische Steuerung gelockert, aber dafür die Überwachung der individuellen Entscheidungen dank der Prinzipien des Controllings zunehmen wird.

Die nationalen und internationalen Aktivitäten der Bertelsmann-Stiftung umfassen mittlerweile so vielfältige institutionelle Kooperationen und personelle Verflechtungen, dass sie kaum noch zu überschauen sind.20 So gibt es heute kein Bundesland mehr, in dem die Bertelsmann-Stiftung bildungspolitisch nicht präsent ist. Auf internationaler Ebene agiert der Konzern über die Beteiligung am „European Round Table of Industrialists“ (ERT) bis hinauf in die WTO-Verhandlungen. Hauptziel des ERT ist es, Europapolitik als europäische Industrie- und Wettbewerbspolitik zu formulieren; eine so genannte Hochschulreform bezweckt, Bildung und Wissenschaft zum Teilbereich der Industriepolitik zu degradieren. Die Errungenschaften des Sozialstaates werden im Zuge der Privatisierungskampagne erneut als bürokratisch, traditionalistisch oder alteuropäisch diffamiert.

Erstaunlicherweise bedient man sich dabei im Bildungsbereich einer Institution, wie sie bürokratischer, alteuropäischer und traditionalistischer kaum vorstellbar wäre: der Unternehmensstiftung. Bertelsmann hat gezeigt, dass auch rote und grüne Bildungspolitik dem Lockruf der Stifter nicht widerstehen kann. Wenn die paternalistische Bevormundung nur subtil genug tönt, wenn der Medienmogul durch ein Dickicht von Kommissionen und Stiftungen flüstert, dann besiegt der „Sachverstand“ die Vernunft. Die aber besagt, dass demokratische Partizipation sich nicht mit Marketingmethoden von Rating und Ranking umsetzten lässt, und dass menschliche Lernprozesse sich nicht wie Stückgutkosten mittels betriebswirtschaftlichen Controllings messen lassen. Stattdessen bedürfen Bildung und Wissenschaft an Stelle einer Ideologie purer Effizienz einer Besinnung auf ethische Grundlagen. Ethik vor Effizienz – wo ist heute die Stiftung, die dieses Motto mit einer den Bertelsmännern ebenbürtigen Überzeugungskraft vertritt?

Erschienen in Blätter für deutsche und internationale Politik (www.blaetter.de)

Literatur:

[18] Vgl. Thomas Barth, Blick, Diskurs und Macht: Michel Foucault und das Medien-Dispositiv, in: „MEDIENwissenschaft“, 1/2005, S. 8-14.

[19] Gerd Nollmann: Die stille Umverteilung, in: „Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie“, 3/2003, S. 500 f. Vgl. auch Carsten Keller und Oliver Schöller, Autoritäre Bildung, in: Uwe Bittlingmayer u.a. (Hg.), Theorie als Kampf? Opladen 2002.

[20] Vgl. Torsten Bultmann und Oliver Schöller, Die Zukunft des Bildungssystems: Lernen auf Abruf – eigenverantwortlich und lebenslänglich, in: „PROKLA“, 2/2003, S. 331-354.

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