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Atomstromfrei leben – Elektrizitätswerke Schönau

von Marc Alexander Holtz & Tim Kinkel

In Schönau haben die Bürger ihr Stromnetz gekauft, um es im Anschluss daran selber zu betreiben. Seitdem ist Schönau atomstromfrei und fördert Energiesparen und umweltfreundliche Neuanlagen. Man wirtschaftet ökonomisch sowie ökologisch mit Erfolg. Inzwischen kann jeder Bürger in Deutschland Strom der Elektrizitätswerke Schönau (EWS) bestellen. Der Strom, so die Betreiber, stamme von Produzenten, die keine Kapitalbeteiligungen an Atomkraftwerken besitzen.

Das Stromnetz Schönaus ist das Netz des ehemaligen Monopolisten und Atomkraftwerkbetreibers KWR (Kraftübertragungswerke Rheinfelden). Die Geschichte der Stromnetzübernahme reicht zurück bis zu dem Reaktorunfall von Tschernobyl vor nunmehr dreizehn Jahren, als Schönauer Bürger beginnen, sich energiepolitisch zu engagieren. Sie sind der Meinung, dass die Unternehmenspolitik der Energieversorger – Gewinnmaximierung durch Absatzsteigerung – ökologische Ansätze verhindert. Daraufhin entsteht der Plan, ein bürgereigenes Energieunternehmen zu gründen, welches sich ökologischen Zielsetzungen verpflichtet und aufzeigt, dass der bisherige Atomstromanteil von vierzig Prozent ersetzt und genauso gut vor Ort umweltfreundlich generiert werden kann.

Im März 1996 entscheidet sich die Mehrheit der Schönauer Bürger dafür, die Stromkonzession an die inzwischen gegründeten Elektrizitätswerke Schönau zu vergeben und das Stromnetz vom bisherigen Energieversorger zurückzukaufen. Jedoch verlangen die KWR statt der vom Gutachter der Bürgerinitiative errechneten 3,9 Mio. DM eine Summe von 8,7 Mio. DM für das Stromnetz – unter Energieversorgern eine beliebte Methode, Netzrückkaufpläne von „abtrünnigen“ Gemeinden zu erschweren. 3,9 Mio. DM können die EWS mit Hilfe von Bürgern aus der gesamten Bundesrepublik, die sich über den Schönauer Energiefonds der GLS-Gemeinschaftsbank in Bochum beteiligt haben, unmittelbar aufbringen. Der überhöhte Teil der Forderung von über 4 Mio. DM erschwert die Unternehmung, weil der hohe Preis die wirtschaftliche Rentabilität nicht mehr gewährleistet. Die Schönauer setzen für den Restbetrag auf Spendenbeiträge. Strategie ist es, den Preis in voller Gänze, allerdings unter Vorbehalt, zu begleichen und nach Vertragsabschluss wieder einzuklagen. Dadurch kommt das Projekt nicht zum Erliegen.

Eine der größten deutschen Werbeagenturen entwickelt kostenlos die Spendenkampagne „Ich bin ein Störfall“. Die Durchführung übernimmt die von dem Schriftsteller und Ökophilosophen Carl Amery und der GLS-Gemeinschaftsbank Bochum initiierte Stiftung „Neue Energie“. Bis zur Netzübernahme kommen ca. 2 Mio. DM Spendengelder zusammen. Zahlreiche Einzelspender sowie politische Gruppierungen, Bürgerinitiativen und gesellschaftliche Gruppen aller Art leisten Beiträge zur finanziellen Unterstützung. Durch Benefiz-Konzerte, Kabarett-Abende und etwaige andere Veranstaltungen unter dem Motto „Spenden für den Störfall“ fließen weitere Gelder in den Spendentopf. Die KWR reagieren beeindruckt und reduzieren den Kaufpreis gleich zweifach, so dass der Initiative „Ich bin ein Störfall“ zum Netzübernahmetermin „nur“ noch hunderttausend DM fehlen, die durch Bürgschaften überbrückt und zum Jahresende 1997 beglichen werden.

Seit der Stromnetzübernahme setzen die Elektrizitätswerke Schönau ihre ökologischen Zielsetzungen um: Stromeinsparungen, ressourcensparende Energieerzeugung durch Blockheizkraftwerke (BHKW) und regenerative Energiegewinnung. Ziel der Unternehmenspolitik von den EWS ist es, so viele Verbraucher wie möglich zum Umstieg auf alternative Energien zu bewegen, wobei die Voraussetzung erfüllt sein muss, das dem einzelnen Bürger eine finanzierbare Lösung geboten wird. Motivations- und Aufklärungsarbeit gewinnen an Bedeutung.

Die ersten Blockheizkraftwerke, installiert in Wohnhäusern und einem Hotel, stellen eine Leistung von 50 kW im Schönauer Netz bereit. Der nächste Schritt ist der Ausbau von Nahwärmeversorgungen: so wird z. B. ein Neubaugebiet mit mehreren Einfamilienhäusern und einem Lebensmittelmarkt mit einer gemeinsamen Heizzentrale, von Blockheizkraftwerken betrieben, ausgestattet. Besonderen Fokus legt man auf die kontinuierliche Steigerung des Photovoltaikstromanteils, die direkte Umwandlung von Strahlungsenergie in elektrische Energie. Mit über 25 Watt installierter Photvoltaikleistung pro Einwohner nimmt Schönau einen Spitzenplatz in Bezug auf die Solarstromerzeugung ein. Die EWS sind nach nur zwei Jahren Betriebsaktivität das erste Energieversorgungsunternehmen in ganz Deutschland, das seine Kunden ausnahmslos atomstromfrei versorgt. Der Mix aus regenerativer Energie und Kraft-Wärme-Koppelung wird zu 15% im Ort selbst erzeugt (Wasser, Sonne, BHKW) und zu 85% über einen Stromlieferanten eingekauft. Um das lokale Potential voll auszuschöpfen ist angestrebt, dieses Verhältnis zukünftig in Richtung der Eigenstromerzeugung zu verschieben.

Mittlerweile haben die Elektrizitätswerke Schönau ihre Aktivitäten auf das gesamte Bundesgebiet ausgeweitet. Mit ihrem Projekt „Watt Ihr Volt – Investstrom für eine atomfreie Zukunft“ werden bundesweit Ökostromanlagen Dritter gefördert, wodurch in 56 Gemeinden neue umweltfreundliche Energieerzeugungsanlagen privater Betreiber entstehen konnten. Das von den EWS entwickelte Konzept des Ökostromverkaufs ohne Durchleitung stößt auf gute Resonanz bei den Stromverbrauchern. Im Strompreis enthalten ist der so genannte „Schönauer Sonnencent“, der in weitere Ökostromanlagen investiert wird. Resultat sind 1.000 neue ökologische Stromerzeugungsanlagen.

Von 1.700 Kunden seit Beginn der Geschäftstätigkeit ab Netzübernahme ist die Zahl der Ökostrombezieher auf ca. 50.000 gewachsen. Das Konzept der Schönauer zeigt, dass eine atomstromfreie Energieversorgung möglich und das Interesse bei einem großen Teil der Bevölkerung vorhanden ist. Eine kontinuierliche Informationsarbeit in breiten Bevölkerungsschichten zum Thema umweltfreundliche Energieversorgung scheint unabdingbar, um das Projekt „atomfreie Zukunft“ Wirklichkeit werden zu lassen.

Dossier ENERGIE

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