von Philipp Fahr
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Richtet man den Blick zunächst auf die Wirtschaft als den entscheidenden Bereich – immerhin sind über zwei Drittel der zur Elite zählenden Promovierten in diesem Sektor tätig -, so zeigt sich ganz klar, daß der wichtigste Grund für die wesentlich höhere Erfolgsquote der Bürgerkinder in ihrem klassenspezifischen Habitus zu suchen ist. Wer in die Vorstände und Geschäftsführungen großer Unternehmen gelangen will, der muß nämlich vor allem eines besitzen: habituelle Ähnlichkeit mit den Personen, die dort schon sitzen. Da die Besetzung von Spitzenpositionen in großen Unternehmen von einem sehr kleinen Kreis von Personen entschieden wird und das Verfahren nur wenig formalisiert ist, spielt die Übereinstimmung mit den so genannten Entscheidern, der gleiche Stallgeruch, die ausschlaggebende Rolle. Es wird sehr viel weniger nach rationalen Kriterien entschieden, als man gemeinhin vermutet.
Die Bedeutung der richtigen Chemie oder des Bauchgefühls hängt wesentlich mit dem Bedürfnis zusammen, sich mit Personen zu umgeben, denen man vertrauen kann. Man müsse sich einen Vorstand, so ein interviewter Topmanager, in der Regel als eine Schicksalsgemeinschaft vorstellen, die gemeinsam erfolgreich sei oder aber scheitere. Maßgeblich dafür, ob man glaubt, jemandem vertrauen zu können, und damit auch für die Entscheidung, ob diese Person als Vorstandskollege akzeptiert wird, ist letztlich der Habitus der Person. Der gewünschte Habitus wird in den Chefetagen der deutschen Großunternehmen an vier zentralen Persönlichkeitsmerkmalen festgemacht. Man sollte eine intime Kenntnis der Dress- und Benimmcodes aufweisen, weil dies aus Sicht der Entscheider anzeigt, ob der Kandidat die geschriebenen und vor allem die ungeschriebenen Regeln und Gesetze in den Chefetagen der Wirtschaft kennt und auch zu beherzigen gewillt ist. Eine breite Allgemeinbildung ist erwünscht, weil sie als ein klares Indiz für den berühmten und als unbedingt notwendig erachteten Blick über den Tellerrand angesehen wird. Persönliche Souveränität in Auftreten und Verhalten als wichtigstes Element schließlich zeichnet in den Augen der Verantwortlichen all diejenigen aus, die für Führungsaufgaben dieser Größenordnung geeignet seien. Soziale Aufsteiger dagegen, lassen es fast immer an der erwünschten Selbstverständlichkeit in Auftreten wie Verhalten und damit zugleich an der Bereitschaft mangeln, den offiziellen Kanon und die herrschenden Codes auch einmal gekonnt in Frage zu stellen bzw. sie gegebenenfalls zu durchbrechen. Diese Souveränität, die den spielerischen Umgang mit den gültigen Regeln beinhaltet, macht die entscheidende Differenz aus zwischen denen, die dazu gehören, und denen, die nur dazu gehören möchten. Diesen Sachverhalt hat Pierre Bourdieu in seinen Studien schon 1982 am Beispiel Frankreichs ausführlich beschrieben.
Michael Hartmann hat die Biografien von 6500 Doktoren in der Bundesrepublik Deutschland in den 50er, 60er, 70er und 80er Jahren untersucht [6], um herauszufinden, ob die soziale Herkunft bei Akademikern mit Doktortiteln relevant sei für den Aufstieg in die Elite. Sein Befund ist, daß die Wirtschaftselite (verstärkt seit Anfang der 90er Jahre) sich aus Abkömmlingen der Wirtschaftselite rekrutiere, daß Arbeiterkinder oder Frauen mit Doktortitel jedoch so gut wie keine Chance haben würden aufzusteigen. Eines zeigen die Bildungs- und Karriereverläufe von promovierten Personen ganz eindeutig: Die soziale Herkunft beeinflusst den Zugang zu Elitepositionen nicht nur indirekt über den Bildungserfolg, sondern auch ganz unmittelbar. Die vom funktionalistischen Mainstream der Eliteforschung vertretene Position, die Rekrutierung der Eliten erfolge vorrangig anhand der individuellen Leistung, hat sich nicht bestätigt. Auch die Hoffnungen von Ralf Dahrendorf und den meisten anderen Eliteforschern, die Bildungsexpansion mit ihrer sozialen Öffnung der Hochschulen würde an der disproportionalen Rekrutierung der Eliten Wesentliches verändern, haben sich dementsprechend nicht erfüllt. Vielmehr ist es, ganz im Gegenteil, bei den untersuchten Jahrgängen mit der Zeit sogar zu einer weiteren sozialen Schließung gekommen. Das zeigen heutzutage auch die Auswahlmechanismen von Begabtenförderungswerken, wie der Studienstiftung und den politischen Stipendiengebern, die mittels Auswahlgespräche ihre eigene Elite rekrutieren. Abschließend kann man sagen, daß die Bildungsexpansion nur den Zugang zu den Bildungsinstitutionen erleichtert hat, nicht aber den zu den Elitepositionen.
Philipp Fahr, 28, Doktorand, Fakultät für Mathematik, Universität Bielefeld
Anhang: Erklärung der Bundesregierung
weiterlesen: Vorschläge zur Strukturveränderung der Macht
Literatur:
[6] Hartmann, Michael: Der Mythos von den Leistungseliten. Campus Verlag 2002.
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