von Thomas Barth und Oliver Schwedes
zurück zum Start: Der Lockruf der Stifter
Die Invasion des Neoliberalismus im Bereich der Bildung begann Anfang der 90er Jahre. Mit dem Waterloo des „real existierenden Sozialismus“ schlichen sich auch in der Bildungspolitik verstärkt neoliberale Tendenzen ein. Ihre Einspeisung erfolgte über ein traditionelles Mittel gesellschaftlicher Einflussnahme, das Stiftungswesen. Insbesondere die Bertelsmann-Stiftung diente als Stichwortgeber für eine breit angelegte Kampagne zur Kommerzialisierung der Bildung.
Stiftungen sind Ausdruck von Engagement für das Gemeinwesen, aber auch mögliches Instrument der politischen Einflussnahme. [02] Damit man uns nicht missversteht: Wenn wohlhabende Menschen einen Teil ihres Reichtums für gemeinnützige Zwecke stiften, ist das prinzipiell eine wunderbare Sache. Wenn sie dabei die Interessen ihrer sozialen Schicht, zuweilen vielleicht sogar ihre Privatinteressen, mit dem Gemeinwohl verwechseln, dann ist das menschlich verständlich. Wenn dies jedoch strategisch auf breiter Front mit beträchtlichen Finanzmitteln und im globalen Maßstab geschieht, ist mehr kritische Aufmerksamkeit geboten als insbesondere der Bertelsmann-Stiftung bislang zuteil wird.
Die Bertelsmann-Stiftung ist die Unternehmensstiftung des Bertelsmann-
Konzerns, des größten Medien-Multis Europas und des fünftgrößten weltweit. Im Zuge der globalen Konzentrationsprozesse der 80er und 90er Jahre konnte er sich weltweit gut behaupten. [03] Neben vielen kleineren Buchverlagen gehört ihm im Printbereich der Weltmarktführer Randomhouse, der Bertelsmann-Buchclub mit weltweit 25 Millionen Mitgliedern sowie Gruner + Jahr, der größte Zeitschriftenverlag Europas mit 120 Blättern. Im Bereich Entertainment gehören dem Unternehmen rund 200 Musik-Labels, dazu kommen [18] Radio- und 22 Fernseh-Sender, darunter die RTL-Gruppe. Den Aufführungsrechtehandel kontrolliert Bertelsmann global in 140 Ländern. Abgerundet wird das Medienimperium durch Immobilienhandel, die Bertelsmann International Finance Limited sowie ein Finanzinstitut im Steuerparadies Curaçao (Antillen). Der letzte große Coup war im Juli 2004 die Fusion der Bertelsmann Music Group mit Sony Music zum nun zweitgrößten Musik-Konzern weltweit. Von 1980 bis heute hat sich die Zahl der Bertelsmann-Mitarbeiter von 45000 auf 82000 nahezu verdoppelt, der Gesamtumsatz von 6,5 auf über 20 Mrd. Euro verdreifacht (davon 70 Prozent im Ausland). [04]
1977 wurde vom heutigen Unternehmenspatriarchen Reinhard Mohn die Bertelsmann-Stiftung gegründet. Ihr wurden 1993 ca. 70 Prozent des Konzern-Gesamtkapitals übertragen. Neben dem Streben nach gesellschaftlicher Einflussnahme dürfte ein Motiv darin bestehen, dass auf diese Weise erzielte Steuerersparnisse die Stiftungsausgaben deutlich übersteigen. Schon vor die-sem Hintergrund kann es überraschen, wenn die Stiftung sich selbst als „unabhängig“ bezeichnet. [05]
Bei der Bertelsmann-Stiftung handelt es sich mittlerweile um die größte operative Unternehmensstiftung in Deutschland. [06] Sie verfügt über einen Jahresetat von 65 Mio. Euro sowie über 300 Mitarbeiter, die mehr als 100 Projekte betreuen. Dabei orientiert sich die Stiftung explizit an den US-amerikanischen Think-Tanks. Ihre Tätigkeitsfelder erstrecken sich auf Wirtschaft, Medien, Kultur, Politik und Bildung.
Im Bildungs- und Kulturbereich zielt die Strategie Bertelsmanns auf eine weiträumige Kommerzialisierung von Wissenschaft und Bildung – nicht zuletzt deshalb, weil der Medienkonzern sich hier neue Märkte erschließen könnte. An den Hochschulen ist dabei insbesondere die Einführung von Studiengebühren von Bedeutung, weil nur Gebühren diesen Bereich für private Investoren lukrativ machen können. Doch auch die einfache Schulbildung liegt im Blickfeld des Konzerns und seiner Stiftung. Gemäß dem strategisch angewendeten Public-Private-Partnership-Modell sollen sich dabei privat finanzierte Institutionen durch Kooperation mit öffentlichen Gremien Renommee und Einfluss sichern. Den Anfang machte 1992 die Bildungskommission NRW, die ihren Bericht 1995 präsentierte. [07] Das Gremium bestand aus Politikern, Hochschullehrern sowie Gewerkschafts- und Arbeitgebervertretern. An prominenter Stelle war der Patriarch des Familienunternehmens Bertelsmann und Leiter der gleichnamigen Stiftung, Reinhard Mohn, beteiligt.
weiterlesen: „Haus des Lernens“
Erschienen in Blätter für deutsche und internationale Politik (www.blaetter.de)
Literatur:
[02] Vgl. Jürgen Kocka, Die Rolle der Stiftungen in der Bürgergesellschaft der Zukunft, in: „Aus Politik und Zeitgeschichte“, 14/2004, S. 3 f.
[03] Vgl. Insa Sjurts, Strategien in der Medienbranche, Wiesbaden 2003; Christiane Leidinger, Medien, Herrschaft, Globalisierung, Münster 2003.
[04] Vgl. Rüdiger Liedtke, Wem gehört die Republik? Die Konzerne und ihre Verflechtungen, Frankfurt a. M. 2004.
[05] Bertelsmann-Stiftung (Hg.), Operative Stiftungsarbeit. Strategien – Instrumente – Perspektiven, Gütersloh 1997, S. 18.
[06] Von der operativen Stiftung ist die Förderstiftung zu unterscheiden, die andere Personen bzw. deren Projekte finanziell unterstützt, ohne selbst direkt Einfluss auszuüben. Vgl. Helmut Anheier, Das Stiftungswesen
in Deutschland, in: Die Bertelsmann-Stiftung (Hg.), Handbuch Stiftungen, Wiesbaden 2003.
[07] Bildungskommission des Landes NRW, Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft, Neuwied 1995.
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